Winter 1999/2000
Habilitation Siegfried Beer
Von Michael John
Anglo-amerikanische Österreichpolitik 1938–1955

Der Habilitationsschrift war eine Nachricht beigelegt: … off to the slaughterhouse! hieß es auf der offensichtlich nicht für den Rezensenten, sondern für den Herausgeber bestimmten Karte. Naja, sie ist mir in die Hände gefallen, und ich kann nur sagen: Herr Beer, haben Sie keine Sorge, so schlimm wird’s nicht werden. Es sind im Historicum in den letzten Jahren einige Besprechungen von Habilitationen in kumulativer Form erschienen, eine Habilitandin hat gar nur fünf Aufsätze vorgelegt. Siegfried Beer hat immerhin 28 Aufsätze gebündelt und daraus eine dickleibige Habilitationsschrift gemacht.

Studien zur anglo-amerikanischen Österreichpolitik 1938–1955. Mediale, diplomatische, militärische, geheimdienstliche und besatzungspolitische Aspekte der Rekonstruktion in Zentraleuropa während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Graz 1999.

Die Sammelhabilitation gliedert sich in drei Teile und enthält Aufsätze in deutscher und englischer Sprache: Kapitel I »Anschluß – Exil – Widerstand – Krieg 1938–1945« mit acht Aufsätzen, gefolgt vom als Kernstück der Arbeit zu bezeichnenden Kapitel II »Geheimdienstliche Aspekte 1941–1955« mit elf Artikeln und Kapitel III »Besatzungspolitische Aspekte 1945–1950« mit neun Beiträgen. Da es nicht zielführend ist, jeden einzelnen der einander zum Teil inhaltlich auch etwas überschneidenden Artikel zu besprechen, seien in der Folge aus jedem Kapitel ein, zwei Beiträge ausgewählt, die genauer besprochen werden. Abschließend werden Stärken und Schwachstellen der gesamten Arbeit zusammengefaßt.

Exilforschung

Im ersten Teil seiner Habilitation analysiert Beer in dem Beitrag »Exile between Assimilation and Re-Identification: The Austrian Political Emigration to the USA, 1938–1945« die Lebenswelt der österreichischen Emigration in den Vereinigten Staaten. Im Mittelpunkt stehen dabei die Assimilation, Akkulturation und Amerikanisierung der, wie Beer schreibt, »refugees-immigrants«. Als Hauptquelle dient Beer ein Bestand an rund 900 »Reports« über Österreicher und Österreicherinnen in den USA, erstellt vom amerikanischen Kriegsgeheimdienst OSS (Office of Strategic Services). Der von Franklin D. Roosevelt per Exekutivorder gegründete Geheimdienst unterhielt eine Sektion namens Foreign Nationalities Branch: diese beobachtete österreichische Emigranten beziehungsweise Flüchtlinge und studierte die österreichischen Exilorganisationen. Schließlich wurde in den späten vierziger Jahren seitens der Carl Schurz Memorial Foundation eine Studie über die österreichischen und deutschen Emigranten in den USA 1933–1941 verfaßt. Auf der Basis seiner Quellen resümiert Beer, daß Österreicher größere Integrationsschwierigkeiten hatten als Deutsche, »social life« und Freundschaften mit US-Amerikanern seien weniger ausgeprägt beziehungsweise seltener als bei deutschen Emigranten gewesen. Andererseits waren 1948 bereits mehr als 95 Prozent der untersuchten emigrierten Österreicher US-amerikanische Staatsbürger, die Hälfte davon hatte die Staatsbürgerschaft binnen fünf Jahren erhalten. In der Tendenz bekamen Österreicher die US-amerikanische Staatsbürgerschaft rascher als deutsche Staatsbürger. Dies sei laut Beer auf den höheren Anteil jüdischer Flüchtlinge bei den Österreichern zurückzuführen; diese hatten aufgrund der massiveren Verfolgung schon bei ihrer Ankunft 1938–1941 die feste Intention, in den USA zu bleiben. Anschließend an eine generelle Dokumentation der Situation der österreichischen Emigranten und Flüchtlinge präsentiert Beer einige (mehr oder weniger) prominente Fallbeispiele: Ferdinand Czernin, Sohn des Außenministers der Jahre 1916–1918 Ottokar Graf Czernin, war Journalist und gründete in den USA die »Austrian Action«, eine Emigrantenorganisation mit Abstinenz zu den politischen Kräften Zwischenkriegsösterreichs. Czernin stand in enger Verbindung zum amerikanischen Office of War Information (OWI). Julius Deutsch, sozialdemokratischer Politiker, ehemaliger Staatssekretär im republikanischen Österreich und später im Generalsrang der Republikanischen Armee im spanischen Bürgerkrieg, traf im Jänner 1941 in New York ein. Er nahm unter den sozialdemokratisch/internationalistisch eingestellten Emigranten rasch eine Führungsrolle ein und arbeitete für das OWI bis Sommer 1945. Er wollte nach Kriegsende möglichst rasch nach Österreich zurückkehren und konnte dies auch 1946 realisieren. Karl Friediger, Journalist und ehemaliger Funktionär der Vaterländischen Front, repräsentierte einen anderen Typus des politischen Emigranten. 1941 in den USA angekommen, wurde er rasch als Agent und Informant für COI (Coordinator of Information) und OSS rekrutiert. Prominente Emigranten kamen offenbar an den Geheimdiensten nicht vorbei. Später arbeitete Friediger für den Nachkriegsgeheimdienst CIC (Counterintelligence Corps) und hielt sich zu diesem Zweck jedenfalls 1946 und 1947 in Österreich auf, wobei er in den spektakulären Fall der Verschleppung der Margarete Ottilinger (durch sowjetische Stellen) verwickelt war. Friediger remigrierte jedoch nicht nach Österreich, er lebte weiterhin in den USA und starb 1984 in Pennsylvania. Der hier besprochene Artikel zur politischen Emigration zeichnet insgesamt ein komprimiertes Bild des Spannungsfeldes, in dem sich die exilierten Österreicher während und nach dem Zweiten Weltkrieg befanden.

»Intelligence Studies«

»Preliminary Thoughts on the Need for a Theory of Intelligence in International and National Politics, as Exemplified in the Context of Austrian History, 1918–1955. A Plea for an Agenda for Austrian Intelligence Studies« nennt sich ein Beitrag aus dem zweiten Kapitel der Habilitationsschrift, und er stellt Begründung beziehungsweise Plädoyer dar für die Einrichtung von »Intelligence Studies« (Geheimdienststudien) auf wissenschaftlicher Basis in Österreich. Vorbild sind Beer Großbritannien und Nordamerika, dort sind »Intelligence Studies« seit geraumer Zeit etabliert. Hierzulande dominierte lange Zeit die journalistische Abhandlung von Geheimdienstaktivitäten, erst seit den achtziger Jahren gab es einige Versuche der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Beer stellt insgesamt also für Österreich in diesem Zusammenhang Defizite fest, benennt Desiderata der Forschung und beschreibt insbesondere auch die Notwendigkeit der Konzeption einer Theorie der »Intelligence Studies«. Warum Historiker in Österreicher das Terrain geheimdienstlicher Einflüsse und agentengetragener Spionage meiden? Beer meint, daß dies einerseits an der restrikten Verfügbarkeit der einschlägigen Akten liege und in der dadurch erschwerten Auswertung bereits zugänglicher Quellen. Dadurch werde, so Beer, die Kategorie des Geheimen in der Geschichte von vielen Historikern, wenn schon nicht völlig ignoriert, so doch gerne marginalisiert, bagatellisiert oder dem Bereich des Irrelevanten zugeordnet. Im Zusammenhang mit einer Etablierung dieser Forschungsrichtung in Österreich führt Beer sechs Ebenen an: eine rechercheorientierte, die die Auffindung und Aufarbeitung der vorhandenen Quellen zum Inhalt hat, eine komparative Ebene, die den internationalen Vergleich und die Einordnung Österreichs beinhaltet; weiters die Ebene des öffentlichen Diskurses, zu dessen Eröffnung im Bereich der Geheimdienstthematik »Intelligence Studies« einen Beitrag leisten könnten. Eng verknüpft damit ist die vierte Ebene, die den Bereich öffentliche-nationale Sicherheit und Persönlichkeits- beziehungsweise Bürgerrechte betrifft (Beer nennt diese Ebene »civil liberties issues«). Schließlich folgt die Ebene der Auseinandersetzung mit der journalistischen Behandlung der Thematik, mit dem investigativen Journalismus und seinen Verschwörungstheorien beziehungsweise deren Gegenteil, dem Herabspielen und Lächerlichmachen (speziell der österreichischen Geheimdienste). Letztlich fordert Beer auch eine Einbeziehung der Ebene der Populärkultur in die zu etablierenden Geheimdienststudien, beispielsweise der jeweiligen nationalen Spionageromane und Spionagefilme und deren Rezeption. Vermißt hat man in diesem Artikel die eindeutige Klarstellung, daß die Einrichtung von »Intelligence Studies« entscheidend von staatlichen Einflüssen abhängig ist. Archivgesetze und Datenschutzgesetze sowie deren Handhabung bestimmen viel stärker die Beforschung geheimdienstlicher und ähnlicher Themen als die Intentionen einzelner Historiker und Historikerinnen. Indirekt und in Halbsätzen wurde dies von Beer wohl angesprochen – ein klare und eindeutige Aussage fehlt dazu jedoch. Auch in den USA war die Etablierung von »Intelligence Studies« keine einfache Sache, aber ein Land, in dem etwa ein »Freedom of Information Act« verabschiedet worden ist und in dem beispielsweise eine Organisation wie das FBI die Erforschung der eigenen Geschichte durch unabhängige Forscher mitbetrieb, hat eine andere Startposition als das in dieser Beziehung viel restriktivere Österreich. In dem Beitrag »Von Alfred Redl zum ›Dritten Mann‹. Österreich und ÖsterreicherInnen im internationalen Geheimdienstgeschehen 1918–1947« präsentiert Beer eine Positionierung Österreichs sowie österreichischer Agenten und Agentinnen im internationalen Netzwerk der Geheimdienste. Der einprägsame Beitrag fußt im wesentlichen auf Fallbeispielen, die allerdings ziemlich unsystematisch angeführt wurden. So findet man zuerst Agenten und deren Aufgaben im zwischenkriegszeitlichen Österreich sowie Österreicher im Sold der Geheimdienste des Dritten Reichs, wie etwa die Nazispione Fritz Kauders (Deckname Klatt und Max) sowie Ira Lang. Unter dem Titel »H. P. Smolka/Peter Smollet – Penetrationsagent der Sonderklasse?« untersucht Beer die Karriere des 1912 geborenen Wieners, der in London ab 1941 Leiter der Rußlandabteilung, der Soviet Relations Division im Ministry of Information (MOI) gewesen ist, dem aber auch enge Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst NKWD nachgesagt wurden (mehr dazu später). Sodann folgt eine kurze Abhandlung der Aktivitäten des britischen Geheimdienstes SIS (MI 6) in Österreich, gefolgt von einigen Seiten über den als »Super-Spion« bezeichneten Kim Philby. Die Geschichte des Harold Adrian Russel Philby, genannt »Kim«, ist kurios. Der Mann fand als »Maulwurf« in höchste Ämter des britischen Geheimdienstes Zugang, bevor sich herausstellte, daß er mehr als drei Jahrzehnte der Sowjetunion diente. Philby gilt heute als Starspion, er hielt sich vom Herbst 1933 bis Mai 1934 in Wien auf, heiratete hier die österreichische Kommunistin Litzi Friedmann. Beer nennt in diesem Artikel sämliche sowjetische »Maulwürfe« in britischen Diensten, nämlich Kim Philby, Guy Burgess, David McLean, Anthony Blunt und John Cairncross und auch deren mutmaßliche »Entdecker« – Arnold Deutsch und Thodor Maly, ersterer wurde in Wien geboren, Maly stammte aus dem Ungarn der Monarchie. Weiter geht das Name-Dropping im Subkapitel zur Thematik »Österreich und die amerikanischen Geheimdienstorganisationen«. Hier findet man die Information, daß Intellektuelle wie Harold C. Deutsch, Herbert Marcuse, Carl Schorske und Robert G. Neumann für den Geheimdienst OSS, und zwar für dessen Forschungs- und Analyseabteilung (Research and Analysis Branch, R & A) gearbeitet hatten. Als operativer Agent wurde vom OSS Agent K-28 alias Fritz Molden geführt, der als Verbindungsmann des österreichischen Widerstandes 05 zu den Alliierten fungierte. Der mittlerweile betagte Molden lebt heute als Verleger in Wien.

Die beiden Geheimdienste OSS und CIC unterschieden sich sehr deutlich voneinander – hier der intellektuelle, nichtmilitärische, mit Analysten und Wissenschaftlern arbeitende OSS und dort der CIC, der gewiß auch mit Intellektuellen und Wissenschaftern kooperierte, wenngleich nicht in diesem Ausmaß, sondern eher auf Praktiker und auf Personen, die operativ tätig sein konnten, setzte; den »demokratischen« und wenn man so will, auch »antifaschistischen« Touch, den moralischen Anspruch des OSS hatte der CIC nicht. Siegfried Beer liefert Belege dafür, daß letzteres gewiß nicht der Fall war. Er begründet das in der Folge empirisch belegte Nichtvorhandensein von größeren Berührungsängsten des CIC mit ehemaligen Gestapo- und SS-Männern vielleicht etwas verkürzend mit Personalknappheit. Durch diesen Personalmangel, der dadurch entstand, daß Ende 1945 ein Teil der CIC-Agenten ins Privatleben zurückkehren konnte, fehlte es – so Beer – an »verläßlicher politischer und militärischer Information über den sowjetischen Machtbereich, über den am ehesten noch ehemalige Mitarbeiter jener deutschen Organisationen verfügten, die während des Krieges in nachrichtendienstlicher Funktion in Osteuropa gewirkt hatten. So ist jedenfalls erklärbar, daß schon 1946 eine Reihe früherer Angehöriger von Abwehr, SD und Gestapo, großteils in höherem SS-Rang, als Informanten und Mitarbeiter gerade auch des CIC angeheuert wurden, darunter z.B. der berüchtigte Klaus Barbie oder der frühere Adjutant Eichmanns, Otto von Bolschwing« (Beer, Von Alfred Redl zum »Dritten Mann«, S. 24). Nun – Klaus Barbie ist kein Osteuropa-Experte gewesen, sondern er war der sadistische Gestapo-Chef von Lyon. Doch nicht nur hier greift das Personalmangel-Argument zu kurz: Jan Robert Verbelen wurde 1947 wegen Mordes an einem belgischen Widerstandskämpfer zum Tode verurteilt, der frühere SS-Offizier wurde nicht hingerichtet, sondern stand lange Jahre in den Diensten des amerikanischen Geheimdienstes in Österreich. In einem Bericht des amerikanischen Justizministeriums zur Causa Verbelen hieß es laut Beer, »daß in Österreich damals dreizehn weitere ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitssystems im Dienst von CIC gestanden wären und daß das 430th CIC Detachment in Österreich über tausende von Informanten verfügt hätte« (Beer, Von Alfred Redl zum »Dritten Mann«, S. 24). Zu den angeworbenen NS-Experten gehörten die Österreicher SS-Obersturmbannführer Wilhelm Höttl, der Salzburger SS-Hauptsturmführer Hermann Milleder, der ehemalige Pressereferent des Wiener Gauleiters Bürckel, Erich Kernmayer, ein SS- und SD (Sicherheitsdienst)-Mitglied sowie der frühere Gauinspekteur des Gaus Oberdonau, Stefan Schachermayr, die spätere »graue Eminenz« des VdU (Verband der Unabhängigen) in Oberösterreich. Ohne daß man den »Kalten Krieg«, vor allem aber den raschen Prioritätenwechsel in der obersten Etage der US-Politik sowie den Rechtsruck hin zu konservativen Regierungen in einigen Staaten des Westens ins Kalkül zieht, ebenso wie die innere Moral der Geheimdienstorganisation CIC, die jedenfalls nicht von antifaschistischem Elan getragen war, wie bei vielen OSS-Mitarbeitern (etwa beim ehemaligen OSS-Mitarbeiter Simon Wiesenthal), wird man das Phänomen der Anwerbung von Nationalsozialisten nicht erklären können. Nebenbei, nicht nur der US-amerikanische CIC setzte SS-Männer ein: Der Wiener Roman Gamotha, ein persönlicher Freund Kaltenbrunners, wechselte zu Ostern 1945 die Seite und wurde laut Beer nur wenige Wochen nach Kriegsende in sowjetischem Auftrag in die Westzonen Österreichs und Deutschlands geschickt. Und der SS-Unterscharführer Johann Sanitzer, ein früherer Referatsleiter der Gestapoleitstelle Wien, Folterer und Verhörspezialist, stieg trotz einer Volksgerichtsverurteilung im Jahre 1948 später zum Major im Staatssicherheitsdienst der DDR auf (Beer, Der Dritte Mann, S. 10).

Besatzungspolitik

Im dritten und letzten Teil seiner Habilitation setzt sich Beer mit der Besatzungspolitik 1945–1950 auseinander, vor allem in der Steiermark, und dies bringt eine gewisse Fokussierung auf die britische Besatzungsmacht mit sich. Der Beitrag »Die Besatzungsmacht Großbritannien in Österreich 1945–1949« ist daher für dieses Kapitel als durchaus repräsentativ anzusehen, und er bietet grundsätzlich einen guten Überblick über die britische Besatzungspolitik und -praxis in dieser Zeitphase. Beer streift in diesem Beitrag die Problematik der inneren Periodisierung des Besatzungsjahrzehnts und weist dann auf die spezifische Haltung der Briten zur Österreichfrage hin, die nicht, wie üblicherweise dargestellt, lediglich ein unabhängiges Österreich in den Grenzen von 1937 – vor allem gepusht von der Sowjetunion – als Option handelten, sondern ernsthaft auch die Möglichkeit einer katholischen Föderation Bayern-Österreich (oder Bayern-Österreich-Ungarn) beziehungsweise die Möglichkeit einer Donaukonföderation nach dem Modell der Habsburgermonarchie (Beer, Besatzungsmacht Großbritannien, S. 43). Die sogenannte Moskauer Erklärung – die von einem unabhängigen Österreich in den Grenzen von 1937 ausging und für die Nachkriegsgeschichte eine große Rolle spielte, weil sie den Anknüpfungspunkt für die Betonung der Opferrolle Österreichs bot – war laut Beer für die Briten nur eine Kompromißformel. Andere Optionen waren für die Briten einige Zeit denkbar – auch die Operrolle Österreichs war im britischen Denken nicht verankert, laut Beer gingen die britisch-amerikanischen Planungen anfangs von einem besiegten Land und einem besetzten Territorium aus. Sie basierten auf dem Konzept der Errichtung einer »konstitutionellen Diktatur«, deren wichtigste Anliegen einerseits die Demokratisierung des Landes und andererseits die Entfaschisierung seiner Gesellschaft und Politik sein sollten. Die Wiederherstellung des Konstitutionalismus sei mit dem Mittel diktatorisch-militärischer Notvollmachten in Form eines anfangs noch deutlich militärisch strukturierten Kollektivprotektorats durchgesetzt worden. Beer diskutiert in der Folge das Verhältnis der USA und vor allem der Briten zu Österreich und erstellt dabei drei Thesen (wobei im dritten Kapitel der Habilitation am häufigsten Thesen formuliert wurden, in den anderen beiden Kapiteln ist dies eher selten der Fall gewesen): 1. Österreich sei während des Weltkriegs und vor allem auch während der Besatzungszeit mit einem Großbritannien konfrontiert gewesen, das eine Weltmacht war. Beer im O-Ton: »Großbritannien war […] die zwei-ein-halbte Supermacht der Welt […] Noch 1947 gab London einen größeren Anteil seines Bruttosozialprodukts für die Verteidigung aus als die USA oder die UDSSR. Noch 1951 hatte Großbritannien in 40 Ländern fast eine Million Mann unter Waffen und 1952 wurde es die dritte Nuklearmacht der Welt […] Großbritannien wäre bis zur Gründung der NATO im Jahre 1949 wahrscheinlich der einzige Staat Europas gewesen, der einem hypothetischen Angriff der Sowjetunion in Westeuropa mit konventionellen Mitteln einigermaßen hätte standhalten können« (Beer, Besatzungsmacht Großbritannien, S. 47f.). Daraus ableitbar sei ein großes Selbstvertrauen und Engagement der Briten gewesen. Damit in engem Zusammenhang steht die zweite These: »Großbritannien war die Großmacht, die über weite Strecken (des) Beobachtungszeitraums, etwa von 1943 bis 1947/48, in bezug auf Österreich die meisten und zugleich die wichtigsten Initiativen gesetzt hat« (Beer, Besatzungsmacht Großbritannien, S. 52). Dies wird mit den frühesten Schritten zur alliierten Nachkriegsplanung argumentiert, mit der Rolle der Briten bei der Anerkennung der Provisorischen Staatsregierung Renner, mit britischen Bemühungen um ein zweites Kontrollabkommen und – wie Beer meint – auch damit: (Bee»Die Briten inszenierten den Hauptwiderstand gegen die sowjetische Macht- und Wirtschaftspolitik in Österreich«r, Besatzungsmacht Großbritannien, S. 53). Offenbar ein Positivum an sich für Beer, der die Briten im gleichen Atemzug als »zur Verantwortung bereite Großmacht« lobt. Auf den letzten Seiten dieses Beitrags, wie überhaupt in einigen weiteren Passagen des dritten Teils, ist ein dezidiert pro-westlicher Grundton unüberhörbar. Grundsätzlich nichts dagegen, nur manchmal werden die Grenzen hin zur Ideologie überschritten, und Beer geht auch recht selektiv vor. Die Sowjetunion firmiert eigentlich nur als Negativfigur, vor der sich die britisch-amerikanischen Bemühungen um ein demokratisches Österreich abheben; so ist zwar von einem hypothetischen Angriff der SU auf Westeuropa und von sowjetischer Machtpolitik die Rede, nicht jedoch von den sowjetischen Menschen- und Materialopfern bei der Befreiung Österreichs, von der sowjetischen Wirtschaftshilfe, von der Hilfe in der Landwirtschaft etc. Andererseits werden problematische Bereiche der britischen Besatzungspolitik kaum erwähnt. Nicht verwundert daher auch die Formulierung einer emphatischen dritten These: »In Österreich hat mit der sicherlich sehr schwierigen Ära des Besatzungsregiments […] erstmals wirklich ein Prozeß der Neuorientierung und der Internationalisierung begonnen, der zum Fundament zunächst einer demokratiepolitischen Westorientierung Österreichs und nur ein halbes Jahrhundert später wenigstens anteilig auch der Integration Österreichs in ein westdemokratisch orientiertes Europa werden konnte« (Beer, Besatzungsmacht Großbritannien, S. 69f.).

Conclusio

Die Aufsätze, die Siegfried Beer geschrieben und zusammengestellt hat, bieten insgesamt ein beeindruckendes Bild des Schaffens des Grazer Zeithistorikers. Beer hat eine breite Pallette der gewählten Thematik, wie sie sich auch schon im Titel ausdrückt – »Mediale, diplomatische, militärische, geheimdienstliche und besatzungspolitische Aspekte der Rekonstruktion in Zentraleuropa während und nach dem Zweiten Weltkrieg« – beforscht. Er hat sich die einschlägigen Akten des National Archive in Washington, aber auch britische Quellen angesehen, war 1996/97 an der Harvard University, war in London, in Cambridge – kennt sich also in anglo-amerikanischen Archiven bestens aus (vielleicht ist dies der Grund für die bisweilen sich findenden recht manifesten Bekundungen einer strikt prowestlichen Haltung). Er agiert nicht eingebettet in die oftmals gegebene Selbstbezogenheit österreichischer Historiker/innen, sondern hat sich im Gegenteil einen internationalen Bezugsrahmen gegeben. Sein Spezialwissen beeindruckt, wenngleich es oft sehr ins Detail geht (etwa, wenn er US-Piloten beim Anlegen ihrer Spezialwäsche zeigt [Beer, Der Krieg aus der Luft, S. 78] oder wenn er Schnittskizzen der häufig verwendeten Sprengbomben der westlichen Alliierten präsentiert [S. 70]) Jedenfalls hat Beer enorm viel recherchiert und zeigt eine breite Kenntnis der einschlägigen Quellen.

Beers Sammelhabilitation ist gewiß umfangreich und geht auf viele Aspekte ein. Dennoch sei die Überlegung erlaubt, ob er nicht besser eine Monographie geschrieben hätte. Zum einen wäre dann ein Einleitungskapitel geschrieben worden, in dem spezifische Einrichtungen und -fälle, die für die Thematik von Belang waren, einmal grundsätzlich und profund beschrieben beziehungsweise erklärt würden. Das betrifft im wesentlichen die diversen Geheimdienste und ihre Abteilungen; beim OSS und auch beim CIC werden die Erklärungen noch gegeben – wenngleich man auch hier in einer geschlossenen Form durchaus ein Mehr an Analyse vertragen könnte – aber bei ONI (US-Marinegeheimdienst), A-2 (US-Luftwaffengeheimdienst), SSU (Strategic Services Unit – Nachfolger des OSS), CIG (Central Intelligence Group übernimmt SSU, ehe der CIA geschaffen wurde), OSI (US-Office of Special Investigations), ONE (Office of the National Estimates at the CIA), SIS / MI6 (British Foreign Intelligence Organizations) schon nicht mehr, jedenfalls nicht in hinreichender Form; und da wären noch IRIS (Interim Research and Intelligence Service), OIR (Office of Intelligence Research und OCL (Office of Coordination and Liaison) etcetera. Auch Leser und Leserinnen, die in der jüngeren Geschichte Deutschlands bewandert sind, wüßten gerne vielleicht etwas mehr als die bloße Namenserwähnung von der Organisation Gehlen (Org) und der damit verknüpften Thematik, von der Abteilung »Fremde Heere Ost« Nazideutschlands, von Canaris, C2 im RSHA-Amt VI und wie sie alle noch heißen mögen. Auch ist nicht jeder ein Geheimdienstfreak, der beim »legendären Spionagefall Cicero« die Ohren spitzt; bei Beer wird er nicht nur einmal erwähnt, was dabei aber vorgefallen ist, bleibt im Dunkel.

Ein Einleitungskapitel mit einer Reihe von Erläuterungen wäre jedenfalls hilfreich gewesen (zumindest ein Glossar, auch im Rahmen einer Sammelhabilitation möglich, hätte der Orientierung gedient). Zum anderen wäre ein Kapitel oder Subkapitel »Theorien und Methoden« verfaßt worden, das anstelle, der verstreuten satzweisen Hinweise und methodischen und theoretischen Einlassungen an den verschiedensten Stellen, in unterschiedlichen Artikeln, einen kompakten Überblick geboten hätte.

Nicht hinreichend vertreten ist die Quellenkritik, manchmal kann man von mangelnder Distanz zu den Quellen ausgehen. Die Arbeiten Beers, vor allem im ersten und zweiten Teil, sind weitgehend positivistisch angelegt, es fehlen Thesen und Modelle, jedenfalls sind diese nur ganz spärlich formuliert beziehungsweise eingesetzt worden. Soweit – so gut, bei diesem positivistischen Touch hätte man doch – besonders im Zusammenhang mit den Geheimdienstaktivitäten – mehr methodische Überlegungen anstellen sollen. Im Vorjahr hatte ich Gelegenheit, im Rahmen des Annual Meeting der US-amerikanischen Oral History Association bei einem Panel zuzuhören, das sich »Interviewing Spies, Liars, and Suspects« nannte und sich nicht nur auf orale Quellen beschränkte: es ging grundsätzlich um Probleme, die sich beim Umgang mit Geheimdienstquellen und -mitarbeitern ergeben. Nicht nur etwa sprachbedingte Probleme, sondern ganz grundsätzlich: wie geht man mit Quellen/Personen um, die trainiert sind zu desinformieren. Wie decodiert man, problematisiert man die Informationen, die vielleicht Desinformationen sind? Beer setzt sich in der vorliegenden Arbeit meiner Ansicht nach nicht hinreichend damit auseinander. Beispielsweise (ein einfaches Beispiel) wenn er in dem sehr flott und anregend formulierten Beitrag »Von Alfred Redl zum ›Dritten Mann‹« meint: »Einer der Hauptagenten Klatts und Turkuls war ein gewisser Ira Lang oder Longin. Er könnte Österreicher gewesen sein« (S. 10). Das ist nicht gerade die Festigkeit an Information, die sich ein positivistischer Wissenschaftler wünscht. Wesentlich problematischer ist es, wenn Beer den bereits erwähnten Peter Smollet/Smolka definitiv als Sowjetagenten bezeichnet. Smollet/Smolka war österreichischer Unternehmer, sein Name ist mit der ersten Schisicherheitsbindung verbunden, er war Besitzer der Firma Tyrolia, ein guter Bekannter Bruno Kreiskys und Hilde Spiels, der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift Austria Today. Beer führt zwar in einer Fußnote an (anders formuliert, er verbannt die folgende Information in eine Fußnote), daß Smolka/Smollett im Prager Schauprozeß gegen Rudolf Slánsky von den Kommunisten öffentlich als »imperialistischer Agent« angeklagt wurde und den sowjetischen Botschafter in London für den britischen Geheimdienst angeworben haben solle. Beer stützt sich in seiner Bewertung aber vor allem auf das Zeugnis eines sowjetischen Überläufers, der seinerseits im Memoirenstil und ohne Beleg Smolka/Smollett bezichtigt. Wenn es wissenschaftliche Gründe für die Priorität dieser Quelle gibt oder wenn es andere Quellen dazu gibt, die diese Vermutung stützen, dann nennt sie Beer jedenfalls in diesem Beitrag nicht. Der Fall Smollet/Smolka könnte jedenfalls auch anders interpretiert werden, etwa in Richtung Doppelagent, der sich letztlich doch mit den Briten arrangiert hat.

Doch dies führt zu weit, die Besprechung droht zu detailistisch zu werden. Es ist nunmehr eine etwas schiefe Optik entstanden. Also, bei allen kritischen Bemerkungen – es steht außer Frage, daß es im Bereich des »Geheimen« in Österreich für Historiker eine Menge zu tun gibt, Siegfried Beer ist der Pionier eventuell auch hierzulande zu etablierender »Intelligence Studies«, und er wäre auch ein ernstzunehmender Mentor dieser schwierig zu beforschenden und zu handhabenden Sparte. Nicht ohne Grund hielten sich Historiker bislang in Österreich von der Thematik fern, es handelt sich um komplexes und schwer zugängliches Feld. Beer ist zur Zeit der einzige ausgewiesene Geheimdienstexperte unter den Historikern in Österreich, und er hat dies mit seiner Habilitationsschrift eindrucksvoll bewiesen. Auch die medienspezifischen, diplomatischen, und militärischen Aspekte der Rekonstruktion Österreichs ebenso wie viele Bereiche der britischen und US-amerikanischen Besatzungspolitik wurden von Beer in seiner Arbeit hinreichend abgedeckt.

 

 

- zum Seitenanfang -
letzte Änderung: 20.06.2015
Links Personen Produktion