Der Habilitationsschrift war eine Nachricht beigelegt:
off
to the slaughterhouse! hieß es auf der offensichtlich nicht
für den Rezensenten, sondern für den Herausgeber bestimmten
Karte. Naja, sie ist mir in die Hände gefallen, und ich kann nur
sagen: Herr Beer, haben Sie keine Sorge, so schlimm wirds nicht
werden. Es sind im Historicum in den letzten Jahren einige Besprechungen
von Habilitationen in kumulativer Form erschienen, eine Habilitandin hat
gar nur fünf Aufsätze vorgelegt. Siegfried Beer hat immerhin
28 Aufsätze gebündelt und daraus eine dickleibige Habilitationsschrift
gemacht.
Studien zur anglo-amerikanischen Österreichpolitik
19381955. Mediale, diplomatische, militärische, geheimdienstliche
und besatzungspolitische Aspekte der Rekonstruktion in Zentraleuropa
während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Graz 1999.
Die Sammelhabilitation gliedert sich in drei Teile und enthält Aufsätze
in deutscher und englischer Sprache: Kapitel I »Anschluß
Exil Widerstand Krieg 19381945«
mit acht Aufsätzen, gefolgt vom als Kernstück der Arbeit zu
bezeichnenden Kapitel II »Geheimdienstliche Aspekte 19411955«
mit elf Artikeln und Kapitel III »Besatzungspolitische Aspekte 19451950«
mit neun Beiträgen. Da es nicht zielführend ist, jeden einzelnen
der einander zum Teil inhaltlich auch etwas überschneidenden Artikel
zu besprechen, seien in der Folge aus jedem Kapitel ein, zwei Beiträge
ausgewählt, die genauer besprochen werden. Abschließend werden
Stärken und Schwachstellen der gesamten Arbeit zusammengefaßt.
Exilforschung
Im ersten Teil seiner Habilitation analysiert Beer in dem Beitrag »Exile
between Assimilation and Re-Identification: The Austrian Political Emigration
to the USA, 19381945« die Lebenswelt der österreichischen
Emigration in den Vereinigten Staaten. Im Mittelpunkt stehen dabei die
Assimilation, Akkulturation und Amerikanisierung der, wie Beer schreibt,
»refugees-immigrants«. Als Hauptquelle dient
Beer ein Bestand an rund 900 »Reports« über Österreicher
und Österreicherinnen in den USA, erstellt vom amerikanischen Kriegsgeheimdienst
OSS (Office of Strategic Services). Der von Franklin D. Roosevelt per
Exekutivorder gegründete Geheimdienst unterhielt eine Sektion namens
Foreign Nationalities Branch: diese beobachtete österreichische Emigranten
beziehungsweise Flüchtlinge und studierte die österreichischen
Exilorganisationen. Schließlich wurde in den späten vierziger
Jahren seitens der Carl Schurz Memorial Foundation eine Studie über
die österreichischen und deutschen Emigranten in den USA 19331941
verfaßt. Auf der Basis seiner Quellen resümiert Beer, daß
Österreicher größere Integrationsschwierigkeiten hatten
als Deutsche, »social life« und Freundschaften mit US-Amerikanern
seien weniger ausgeprägt beziehungsweise seltener als bei deutschen
Emigranten gewesen. Andererseits waren 1948 bereits mehr als 95 Prozent
der untersuchten emigrierten Österreicher US-amerikanische Staatsbürger,
die Hälfte davon hatte die Staatsbürgerschaft binnen fünf
Jahren erhalten. In der Tendenz bekamen Österreicher die US-amerikanische
Staatsbürgerschaft rascher als deutsche Staatsbürger. Dies sei
laut Beer auf den höheren Anteil jüdischer Flüchtlinge
bei den Österreichern zurückzuführen; diese hatten aufgrund
der massiveren Verfolgung schon bei ihrer Ankunft 19381941 die feste
Intention, in den USA zu bleiben. Anschließend an eine generelle
Dokumentation der Situation der österreichischen Emigranten und Flüchtlinge
präsentiert Beer einige (mehr oder weniger) prominente Fallbeispiele:
Ferdinand Czernin, Sohn des Außenministers der Jahre 19161918
Ottokar Graf Czernin, war Journalist und gründete in den USA die
»Austrian Action«, eine Emigrantenorganisation mit Abstinenz
zu den politischen Kräften Zwischenkriegsösterreichs. Czernin
stand in enger Verbindung zum amerikanischen Office of War Information
(OWI). Julius Deutsch, sozialdemokratischer Politiker, ehemaliger Staatssekretär
im republikanischen Österreich und später im Generalsrang der
Republikanischen Armee im spanischen Bürgerkrieg, traf im Jänner
1941 in New York ein. Er nahm unter den sozialdemokratisch/internationalistisch
eingestellten Emigranten rasch eine Führungsrolle ein und arbeitete
für das OWI bis Sommer 1945. Er wollte nach Kriegsende möglichst
rasch nach Österreich zurückkehren und konnte dies auch 1946
realisieren. Karl Friediger, Journalist und ehemaliger Funktionär
der Vaterländischen Front, repräsentierte einen anderen Typus
des politischen Emigranten. 1941 in den USA angekommen, wurde er rasch
als Agent und Informant für COI (Coordinator of Information) und
OSS rekrutiert. Prominente Emigranten kamen offenbar an den Geheimdiensten
nicht vorbei. Später arbeitete Friediger für den Nachkriegsgeheimdienst
CIC (Counterintelligence Corps) und hielt sich zu diesem Zweck jedenfalls
1946 und 1947 in Österreich auf, wobei er in den spektakulären
Fall der Verschleppung der Margarete Ottilinger (durch sowjetische Stellen)
verwickelt war. Friediger remigrierte jedoch nicht nach Österreich,
er lebte weiterhin in den USA und starb 1984 in Pennsylvania. Der hier
besprochene Artikel zur politischen Emigration zeichnet insgesamt ein
komprimiertes Bild des Spannungsfeldes, in dem sich die exilierten Österreicher
während und nach dem Zweiten Weltkrieg befanden.
»Intelligence Studies«
»Preliminary Thoughts on the Need for a Theory of Intelligence
in International and National Politics, as Exemplified in the Context
of Austrian History, 19181955. A Plea for an Agenda for Austrian
Intelligence Studies« nennt sich ein Beitrag aus dem zweiten
Kapitel der Habilitationsschrift, und er stellt Begründung beziehungsweise
Plädoyer dar für die Einrichtung von »Intelligence Studies«
(Geheimdienststudien) auf wissenschaftlicher Basis in Österreich.
Vorbild sind Beer Großbritannien und Nordamerika, dort sind »Intelligence
Studies« seit geraumer Zeit etabliert. Hierzulande dominierte lange
Zeit die journalistische Abhandlung von Geheimdienstaktivitäten,
erst seit den achtziger Jahren gab es einige Versuche der wissenschaftlichen
Aufarbeitung. Beer stellt insgesamt also für Österreich in diesem
Zusammenhang Defizite fest, benennt Desiderata der Forschung und beschreibt
insbesondere auch die Notwendigkeit der Konzeption einer Theorie der »Intelligence
Studies«. Warum Historiker in Österreicher das Terrain geheimdienstlicher
Einflüsse und agentengetragener Spionage meiden? Beer meint, daß
dies einerseits an der restrikten Verfügbarkeit der einschlägigen
Akten liege und in der dadurch erschwerten Auswertung bereits zugänglicher
Quellen. Dadurch werde, so Beer, die Kategorie des Geheimen in der Geschichte
von vielen Historikern, wenn schon nicht völlig ignoriert, so doch
gerne marginalisiert, bagatellisiert oder dem Bereich des Irrelevanten
zugeordnet. Im Zusammenhang mit einer Etablierung dieser Forschungsrichtung
in Österreich führt Beer sechs Ebenen an: eine rechercheorientierte,
die die Auffindung und Aufarbeitung der vorhandenen Quellen zum Inhalt
hat, eine komparative Ebene, die den internationalen Vergleich und die
Einordnung Österreichs beinhaltet; weiters die Ebene des öffentlichen
Diskurses, zu dessen Eröffnung im Bereich der Geheimdienstthematik
»Intelligence Studies« einen Beitrag leisten könnten.
Eng verknüpft damit ist die vierte Ebene, die den Bereich öffentliche-nationale
Sicherheit und Persönlichkeits- beziehungsweise Bürgerrechte
betrifft (Beer nennt diese Ebene »civil liberties issues«).
Schließlich folgt die Ebene der Auseinandersetzung mit der journalistischen
Behandlung der Thematik, mit dem investigativen Journalismus und seinen
Verschwörungstheorien beziehungsweise deren Gegenteil, dem Herabspielen
und Lächerlichmachen (speziell der österreichischen Geheimdienste).
Letztlich fordert Beer auch eine Einbeziehung der Ebene der Populärkultur
in die zu etablierenden Geheimdienststudien, beispielsweise der jeweiligen
nationalen Spionageromane und Spionagefilme und deren Rezeption. Vermißt
hat man in diesem Artikel die eindeutige Klarstellung, daß die Einrichtung
von »Intelligence Studies« entscheidend von staatlichen Einflüssen
abhängig ist. Archivgesetze und Datenschutzgesetze sowie deren Handhabung
bestimmen viel stärker die Beforschung geheimdienstlicher und ähnlicher
Themen als die Intentionen einzelner Historiker und Historikerinnen. Indirekt
und in Halbsätzen wurde dies von Beer wohl angesprochen ein
klare und eindeutige Aussage fehlt dazu jedoch. Auch in den USA war die
Etablierung von »Intelligence Studies« keine einfache Sache,
aber ein Land, in dem etwa ein »Freedom of Information Act«
verabschiedet worden ist und in dem beispielsweise eine Organisation wie
das FBI die Erforschung der eigenen Geschichte durch unabhängige
Forscher mitbetrieb, hat eine andere Startposition als das in dieser Beziehung
viel restriktivere Österreich. In dem Beitrag »Von Alfred
Redl zum Dritten Mann. Österreich und ÖsterreicherInnen
im internationalen Geheimdienstgeschehen 19181947«
präsentiert Beer eine Positionierung Österreichs sowie österreichischer
Agenten und Agentinnen im internationalen Netzwerk der Geheimdienste.
Der einprägsame Beitrag fußt im wesentlichen auf Fallbeispielen,
die allerdings ziemlich unsystematisch angeführt wurden. So findet
man zuerst Agenten und deren Aufgaben im zwischenkriegszeitlichen Österreich
sowie Österreicher im Sold der Geheimdienste des Dritten Reichs,
wie etwa die Nazispione Fritz Kauders (Deckname Klatt und Max) sowie Ira
Lang. Unter dem Titel »H. P. Smolka/Peter Smollet Penetrationsagent
der Sonderklasse?« untersucht Beer die Karriere des 1912
geborenen Wieners, der in London ab 1941 Leiter der Rußlandabteilung,
der Soviet Relations Division im Ministry of Information (MOI) gewesen
ist, dem aber auch enge Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst NKWD nachgesagt
wurden (mehr dazu später). Sodann folgt eine kurze Abhandlung der
Aktivitäten des britischen Geheimdienstes SIS (MI 6) in Österreich,
gefolgt von einigen Seiten über den als »Super-Spion«
bezeichneten Kim Philby. Die Geschichte des Harold Adrian Russel Philby,
genannt »Kim«, ist kurios. Der Mann fand als »Maulwurf«
in höchste Ämter des britischen Geheimdienstes Zugang, bevor
sich herausstellte, daß er mehr als drei Jahrzehnte der Sowjetunion
diente. Philby gilt heute als Starspion, er hielt sich vom Herbst 1933
bis Mai 1934 in Wien auf, heiratete hier die österreichische Kommunistin
Litzi Friedmann. Beer nennt in diesem Artikel sämliche sowjetische
»Maulwürfe« in britischen Diensten, nämlich Kim
Philby, Guy Burgess, David McLean, Anthony Blunt und John Cairncross und
auch deren mutmaßliche »Entdecker« Arnold Deutsch
und Thodor Maly, ersterer wurde in Wien geboren, Maly stammte aus dem
Ungarn der Monarchie. Weiter geht das Name-Dropping im Subkapitel zur
Thematik »Österreich und die amerikanischen Geheimdienstorganisationen«.
Hier findet man die Information, daß Intellektuelle wie Harold C.
Deutsch, Herbert Marcuse, Carl Schorske und Robert G. Neumann für
den Geheimdienst OSS, und zwar für dessen Forschungs- und Analyseabteilung
(Research and Analysis Branch, R & A) gearbeitet hatten. Als operativer
Agent wurde vom OSS Agent K-28 alias Fritz Molden geführt, der als
Verbindungsmann des österreichischen Widerstandes 05 zu den Alliierten
fungierte. Der mittlerweile betagte Molden lebt heute als Verleger in
Wien.
Die beiden Geheimdienste OSS und CIC unterschieden sich sehr deutlich
voneinander hier der intellektuelle, nichtmilitärische, mit
Analysten und Wissenschaftlern arbeitende OSS und dort der CIC, der gewiß
auch mit Intellektuellen und Wissenschaftern kooperierte, wenngleich nicht
in diesem Ausmaß, sondern eher auf Praktiker und auf Personen, die
operativ tätig sein konnten, setzte; den »demokratischen«
und wenn man so will, auch »antifaschistischen« Touch, den
moralischen Anspruch des OSS hatte der CIC nicht. Siegfried Beer liefert
Belege dafür, daß letzteres gewiß nicht der Fall war.
Er begründet das in der Folge empirisch belegte Nichtvorhandensein
von größeren Berührungsängsten des CIC mit ehemaligen
Gestapo- und SS-Männern vielleicht etwas verkürzend mit Personalknappheit.
Durch diesen Personalmangel, der dadurch entstand, daß Ende 1945
ein Teil der CIC-Agenten ins Privatleben zurückkehren konnte, fehlte
es so Beer an »verläßlicher politischer
und militärischer Information über den sowjetischen Machtbereich,
über den am ehesten noch ehemalige Mitarbeiter jener deutschen Organisationen
verfügten, die während des Krieges in nachrichtendienstlicher
Funktion in Osteuropa gewirkt hatten. So ist jedenfalls erklärbar,
daß schon 1946 eine Reihe früherer Angehöriger von Abwehr,
SD und Gestapo, großteils in höherem SS-Rang, als Informanten
und Mitarbeiter gerade auch des CIC angeheuert wurden, darunter z.B. der
berüchtigte Klaus Barbie oder der frühere Adjutant Eichmanns,
Otto von Bolschwing« (Beer, Von Alfred Redl zum »Dritten
Mann«, S. 24). Nun Klaus Barbie ist kein Osteuropa-Experte
gewesen, sondern er war der sadistische Gestapo-Chef von Lyon. Doch nicht
nur hier greift das Personalmangel-Argument zu kurz: Jan Robert Verbelen
wurde 1947 wegen Mordes an einem belgischen Widerstandskämpfer zum
Tode verurteilt, der frühere SS-Offizier wurde nicht hingerichtet,
sondern stand lange Jahre in den Diensten des amerikanischen Geheimdienstes
in Österreich. In einem Bericht des amerikanischen Justizministeriums
zur Causa Verbelen hieß es laut Beer, »daß in
Österreich damals dreizehn weitere ehemalige Funktionäre des
NS-Sicherheitssystems im Dienst von CIC gestanden wären und daß
das 430th CIC Detachment in Österreich über tausende von Informanten
verfügt hätte« (Beer, Von Alfred Redl zum »Dritten
Mann«, S. 24). Zu den angeworbenen NS-Experten gehörten die
Österreicher SS-Obersturmbannführer Wilhelm Höttl, der
Salzburger SS-Hauptsturmführer Hermann Milleder, der ehemalige Pressereferent
des Wiener Gauleiters Bürckel, Erich Kernmayer, ein SS- und SD (Sicherheitsdienst)-Mitglied
sowie der frühere Gauinspekteur des Gaus Oberdonau, Stefan Schachermayr,
die spätere »graue Eminenz« des VdU (Verband der Unabhängigen)
in Oberösterreich. Ohne daß man den »Kalten Krieg«,
vor allem aber den raschen Prioritätenwechsel in der obersten Etage
der US-Politik sowie den Rechtsruck hin zu konservativen Regierungen in
einigen Staaten des Westens ins Kalkül zieht, ebenso wie die innere
Moral der Geheimdienstorganisation CIC, die jedenfalls nicht von antifaschistischem
Elan getragen war, wie bei vielen OSS-Mitarbeitern (etwa beim ehemaligen
OSS-Mitarbeiter Simon Wiesenthal), wird man das Phänomen der Anwerbung
von Nationalsozialisten nicht erklären können. Nebenbei, nicht
nur der US-amerikanische CIC setzte SS-Männer ein: Der Wiener Roman
Gamotha, ein persönlicher Freund Kaltenbrunners, wechselte zu Ostern
1945 die Seite und wurde laut Beer nur wenige Wochen nach Kriegsende in
sowjetischem Auftrag in die Westzonen Österreichs und Deutschlands
geschickt. Und der SS-Unterscharführer Johann Sanitzer, ein früherer
Referatsleiter der Gestapoleitstelle Wien, Folterer und Verhörspezialist,
stieg trotz einer Volksgerichtsverurteilung im Jahre 1948 später
zum Major im Staatssicherheitsdienst der DDR auf (Beer, Der Dritte Mann,
S. 10).
Besatzungspolitik
Im dritten und letzten Teil seiner Habilitation setzt sich Beer mit der
Besatzungspolitik 19451950 auseinander, vor allem in der Steiermark,
und dies bringt eine gewisse Fokussierung auf die britische Besatzungsmacht
mit sich. Der Beitrag »Die Besatzungsmacht Großbritannien
in Österreich 19451949« ist daher für dieses
Kapitel als durchaus repräsentativ anzusehen, und er bietet grundsätzlich
einen guten Überblick über die britische Besatzungspolitik und
-praxis in dieser Zeitphase. Beer streift in diesem Beitrag die Problematik
der inneren Periodisierung des Besatzungsjahrzehnts und weist dann auf
die spezifische Haltung der Briten zur Österreichfrage hin, die nicht,
wie üblicherweise dargestellt, lediglich ein unabhängiges Österreich
in den Grenzen von 1937 vor allem gepusht von der Sowjetunion
als Option handelten, sondern ernsthaft auch die Möglichkeit einer
katholischen Föderation Bayern-Österreich (oder Bayern-Österreich-Ungarn)
beziehungsweise die Möglichkeit einer Donaukonföderation nach
dem Modell der Habsburgermonarchie (Beer, Besatzungsmacht Großbritannien,
S. 43). Die sogenannte Moskauer Erklärung die von einem unabhängigen
Österreich in den Grenzen von 1937 ausging und für die Nachkriegsgeschichte
eine große Rolle spielte, weil sie den Anknüpfungspunkt für
die Betonung der Opferrolle Österreichs bot war laut Beer
für die Briten nur eine Kompromißformel. Andere Optionen waren
für die Briten einige Zeit denkbar auch die Operrolle Österreichs
war im britischen Denken nicht verankert, laut Beer gingen die britisch-amerikanischen
Planungen anfangs von einem besiegten Land und einem besetzten Territorium
aus. Sie basierten auf dem Konzept der Errichtung einer »konstitutionellen
Diktatur«, deren wichtigste Anliegen einerseits die Demokratisierung
des Landes und andererseits die Entfaschisierung seiner Gesellschaft und
Politik sein sollten. Die Wiederherstellung des Konstitutionalismus sei
mit dem Mittel diktatorisch-militärischer Notvollmachten in Form
eines anfangs noch deutlich militärisch strukturierten Kollektivprotektorats
durchgesetzt worden. Beer diskutiert in der Folge das Verhältnis
der USA und vor allem der Briten zu Österreich und erstellt dabei
drei Thesen (wobei im dritten Kapitel der Habilitation am häufigsten
Thesen formuliert wurden, in den anderen beiden Kapiteln ist dies eher
selten der Fall gewesen): 1. Österreich sei während des Weltkriegs
und vor allem auch während der Besatzungszeit mit einem Großbritannien
konfrontiert gewesen, das eine Weltmacht war. Beer im O-Ton: »Großbritannien
war [
] die zwei-ein-halbte Supermacht der Welt [
] Noch 1947
gab London einen größeren Anteil seines Bruttosozialprodukts
für die Verteidigung aus als die USA oder die UDSSR. Noch 1951 hatte
Großbritannien in 40 Ländern fast eine Million Mann unter Waffen
und 1952 wurde es die dritte Nuklearmacht der Welt [
] Großbritannien
wäre bis zur Gründung der NATO im Jahre 1949 wahrscheinlich
der einzige Staat Europas gewesen, der einem hypothetischen Angriff der
Sowjetunion in Westeuropa mit konventionellen Mitteln einigermaßen
hätte standhalten können« (Beer, Besatzungsmacht
Großbritannien, S. 47f.). Daraus ableitbar sei ein großes
Selbstvertrauen und Engagement der Briten gewesen. Damit in engem Zusammenhang
steht die zweite These: »Großbritannien war die Großmacht,
die über weite Strecken (des) Beobachtungszeitraums, etwa von 1943
bis 1947/48, in bezug auf Österreich die meisten und zugleich die
wichtigsten Initiativen gesetzt hat« (Beer, Besatzungsmacht
Großbritannien, S. 52). Dies wird mit den frühesten Schritten
zur alliierten Nachkriegsplanung argumentiert, mit der Rolle der Briten
bei der Anerkennung der Provisorischen Staatsregierung Renner, mit britischen
Bemühungen um ein zweites Kontrollabkommen und wie Beer meint
auch damit: (Bee»Die Briten inszenierten den Hauptwiderstand
gegen die sowjetische Macht- und Wirtschaftspolitik in Österreich«r,
Besatzungsmacht Großbritannien, S. 53). Offenbar ein Positivum an
sich für Beer, der die Briten im gleichen Atemzug als »zur
Verantwortung bereite Großmacht« lobt. Auf den letzten
Seiten dieses Beitrags, wie überhaupt in einigen weiteren Passagen
des dritten Teils, ist ein dezidiert pro-westlicher Grundton unüberhörbar.
Grundsätzlich nichts dagegen, nur manchmal werden die Grenzen hin
zur Ideologie überschritten, und Beer geht auch recht selektiv vor.
Die Sowjetunion firmiert eigentlich nur als Negativfigur, vor der sich
die britisch-amerikanischen Bemühungen um ein demokratisches Österreich
abheben; so ist zwar von einem hypothetischen Angriff der SU auf Westeuropa
und von sowjetischer Machtpolitik die Rede, nicht jedoch von den sowjetischen
Menschen- und Materialopfern bei der Befreiung Österreichs, von der
sowjetischen Wirtschaftshilfe, von der Hilfe in der Landwirtschaft etc.
Andererseits werden problematische Bereiche der britischen Besatzungspolitik
kaum erwähnt. Nicht verwundert daher auch die Formulierung einer
emphatischen dritten These: »In Österreich hat mit der sicherlich
sehr schwierigen Ära des Besatzungsregiments [
] erstmals wirklich
ein Prozeß der Neuorientierung und der Internationalisierung begonnen,
der zum Fundament zunächst einer demokratiepolitischen Westorientierung
Österreichs und nur ein halbes Jahrhundert später wenigstens
anteilig auch der Integration Österreichs in ein westdemokratisch
orientiertes Europa werden konnte« (Beer, Besatzungsmacht Großbritannien,
S. 69f.).
Conclusio
Die Aufsätze, die Siegfried Beer geschrieben und zusammengestellt
hat, bieten insgesamt ein beeindruckendes Bild des Schaffens des Grazer
Zeithistorikers. Beer hat eine breite Pallette der gewählten Thematik,
wie sie sich auch schon im Titel ausdrückt »Mediale,
diplomatische, militärische, geheimdienstliche und besatzungspolitische
Aspekte der Rekonstruktion in Zentraleuropa während und nach dem
Zweiten Weltkrieg« beforscht. Er hat sich die einschlägigen
Akten des National Archive in Washington, aber auch britische Quellen
angesehen, war 1996/97 an der Harvard University, war in London, in Cambridge
kennt sich also in anglo-amerikanischen Archiven bestens aus (vielleicht
ist dies der Grund für die bisweilen sich findenden recht manifesten
Bekundungen einer strikt prowestlichen Haltung). Er agiert nicht eingebettet
in die oftmals gegebene Selbstbezogenheit österreichischer Historiker/innen,
sondern hat sich im Gegenteil einen internationalen Bezugsrahmen gegeben.
Sein Spezialwissen beeindruckt, wenngleich es oft sehr ins Detail geht
(etwa, wenn er US-Piloten beim Anlegen ihrer Spezialwäsche zeigt
[Beer, Der Krieg aus der Luft, S. 78] oder wenn er Schnittskizzen der
häufig verwendeten Sprengbomben der westlichen Alliierten präsentiert
[S. 70]) Jedenfalls hat Beer enorm viel recherchiert und zeigt eine breite
Kenntnis der einschlägigen Quellen.
Beers Sammelhabilitation ist gewiß umfangreich und geht auf viele
Aspekte ein. Dennoch sei die Überlegung erlaubt, ob er nicht besser
eine Monographie geschrieben hätte. Zum einen wäre dann ein
Einleitungskapitel geschrieben worden, in dem spezifische Einrichtungen
und -fälle, die für die Thematik von Belang waren, einmal grundsätzlich
und profund beschrieben beziehungsweise erklärt würden. Das
betrifft im wesentlichen die diversen Geheimdienste und ihre Abteilungen;
beim OSS und auch beim CIC werden die Erklärungen noch gegeben
wenngleich man auch hier in einer geschlossenen Form durchaus ein Mehr
an Analyse vertragen könnte aber bei ONI (US-Marinegeheimdienst),
A-2 (US-Luftwaffengeheimdienst), SSU (Strategic Services Unit Nachfolger
des OSS), CIG (Central Intelligence Group übernimmt SSU, ehe der
CIA geschaffen wurde), OSI (US-Office of Special Investigations), ONE
(Office of the National Estimates at the CIA), SIS / MI6 (British Foreign
Intelligence Organizations) schon nicht mehr, jedenfalls nicht in hinreichender
Form; und da wären noch IRIS (Interim Research and Intelligence Service),
OIR (Office of Intelligence Research und OCL (Office of Coordination and
Liaison) etcetera. Auch Leser und Leserinnen, die in der jüngeren
Geschichte Deutschlands bewandert sind, wüßten gerne vielleicht
etwas mehr als die bloße Namenserwähnung von der Organisation
Gehlen (Org) und der damit verknüpften Thematik, von der Abteilung
»Fremde Heere Ost« Nazideutschlands, von Canaris, C2 im RSHA-Amt
VI und wie sie alle noch heißen mögen. Auch ist nicht jeder
ein Geheimdienstfreak, der beim »legendären Spionagefall Cicero«
die Ohren spitzt; bei Beer wird er nicht nur einmal erwähnt, was
dabei aber vorgefallen ist, bleibt im Dunkel.
Ein Einleitungskapitel mit einer Reihe von Erläuterungen wäre
jedenfalls hilfreich gewesen (zumindest ein Glossar, auch im Rahmen einer
Sammelhabilitation möglich, hätte der Orientierung gedient).
Zum anderen wäre ein Kapitel oder Subkapitel »Theorien und
Methoden« verfaßt worden, das anstelle, der verstreuten satzweisen
Hinweise und methodischen und theoretischen Einlassungen an den verschiedensten
Stellen, in unterschiedlichen Artikeln, einen kompakten Überblick
geboten hätte.
Nicht hinreichend vertreten ist die Quellenkritik, manchmal kann man
von mangelnder Distanz zu den Quellen ausgehen. Die Arbeiten Beers, vor
allem im ersten und zweiten Teil, sind weitgehend positivistisch angelegt,
es fehlen Thesen und Modelle, jedenfalls sind diese nur ganz spärlich
formuliert beziehungsweise eingesetzt worden. Soweit so gut, bei
diesem positivistischen Touch hätte man doch besonders im
Zusammenhang mit den Geheimdienstaktivitäten mehr methodische
Überlegungen anstellen sollen. Im Vorjahr hatte ich Gelegenheit,
im Rahmen des Annual Meeting der US-amerikanischen Oral History Association
bei einem Panel zuzuhören, das sich »Interviewing Spies,
Liars, and Suspects« nannte und sich nicht nur auf orale
Quellen beschränkte: es ging grundsätzlich um Probleme, die
sich beim Umgang mit Geheimdienstquellen und -mitarbeitern ergeben. Nicht
nur etwa sprachbedingte Probleme, sondern ganz grundsätzlich: wie
geht man mit Quellen/Personen um, die trainiert sind zu desinformieren.
Wie decodiert man, problematisiert man die Informationen, die vielleicht
Desinformationen sind? Beer setzt sich in der vorliegenden Arbeit meiner
Ansicht nach nicht hinreichend damit auseinander. Beispielsweise (ein
einfaches Beispiel) wenn er in dem sehr flott und anregend formulierten
Beitrag »Von Alfred Redl zum Dritten Mann«
meint: »Einer der Hauptagenten Klatts und Turkuls war ein
gewisser Ira Lang oder Longin. Er könnte Österreicher gewesen
sein« (S. 10). Das ist nicht gerade die Festigkeit an Information,
die sich ein positivistischer Wissenschaftler wünscht. Wesentlich
problematischer ist es, wenn Beer den bereits erwähnten Peter Smollet/Smolka
definitiv als Sowjetagenten bezeichnet. Smollet/Smolka war österreichischer
Unternehmer, sein Name ist mit der ersten Schisicherheitsbindung verbunden,
er war Besitzer der Firma Tyrolia, ein guter Bekannter Bruno Kreiskys
und Hilde Spiels, der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift Austria Today.
Beer führt zwar in einer Fußnote an (anders formuliert, er
verbannt die folgende Information in eine Fußnote), daß Smolka/Smollett
im Prager Schauprozeß gegen Rudolf Slánsky von den Kommunisten
öffentlich als »imperialistischer Agent« angeklagt wurde
und den sowjetischen Botschafter in London für den britischen Geheimdienst
angeworben haben solle. Beer stützt sich in seiner Bewertung aber
vor allem auf das Zeugnis eines sowjetischen Überläufers, der
seinerseits im Memoirenstil und ohne Beleg Smolka/Smollett bezichtigt.
Wenn es wissenschaftliche Gründe für die Priorität dieser
Quelle gibt oder wenn es andere Quellen dazu gibt, die diese Vermutung
stützen, dann nennt sie Beer jedenfalls in diesem Beitrag nicht.
Der Fall Smollet/Smolka könnte jedenfalls auch anders interpretiert
werden, etwa in Richtung Doppelagent, der sich letztlich doch mit den
Briten arrangiert hat.
Doch dies führt zu weit, die Besprechung droht zu detailistisch
zu werden. Es ist nunmehr eine etwas schiefe Optik entstanden. Also, bei
allen kritischen Bemerkungen es steht außer Frage, daß
es im Bereich des »Geheimen« in Österreich für Historiker
eine Menge zu tun gibt, Siegfried Beer ist der Pionier eventuell auch
hierzulande zu etablierender »Intelligence Studies«, und er
wäre auch ein ernstzunehmender Mentor dieser schwierig zu beforschenden
und zu handhabenden Sparte. Nicht ohne Grund hielten sich Historiker bislang
in Österreich von der Thematik fern, es handelt sich um komplexes
und schwer zugängliches Feld. Beer ist zur Zeit der einzige ausgewiesene
Geheimdienstexperte unter den Historikern in Österreich, und er hat
dies mit seiner Habilitationsschrift eindrucksvoll bewiesen. Auch die
medienspezifischen, diplomatischen, und militärischen Aspekte der
Rekonstruktion Österreichs ebenso wie viele Bereiche der britischen
und US-amerikanischen Besatzungspolitik wurden von Beer in seiner Arbeit
hinreichend abgedeckt.