Fünf Aufsätze unter dem Übertitel
Studien zur Geschichte der Geschlechterbeziehung in der Kunst hat Daniela
Hammer-Tugendhat am Institut für Kunstgeschichte der Universität
Wien als kumulative Habilitationsschrift vorgelegt.1 Der Untersuchungszeitraum
der Beiträge reicht vom Hochmittelalter bis Tizian und im letzten Fall
bis ins späte 19. Jahrhundert, inhaltlich konzentrieren sich die Beiträge
auf geschlechtergeschichtlich relevante Fragen, die anhand weniger Künstler
beziehungsweise Werke behandelt werden. Breiter angelegt ist der erste Aufsatz,
der in einem über Jahrhunderte gehenden Vergleich die Veränderungen
in der künstlerischen Darstellung eines bestimmten Lasters von der
Romanik zur Gotik nachzeichnet und interpretiert.
Luxuria
Es handelt sich um die Luxuria, also um das Laster der Wollust. Die Wollust
war, wie die Autorin darlegt, in der mittelalterlichen Theologie im Gefolge
von Augustinus nicht populär und stellte eine Sünde dar, eine
von den sieben Hauptsünden (nicht Todsünden, wie die Autorin
meint). Eine Sünde war die Wollust prinzipiell auch dann, wenn der
Geschlechtsakt eigentlich zum Zweck der Erzeugung von Nachkommen ausgeübt
wurde und sich die Lust nur nebenher einstellte. Daß diese augustinische
Auffassung »auch heute noch gültiger Bestandteil kirchlicher
Theologie« (S. 13) sei, ist indessen falsch, jedenfalls wenn dabei
die katholische Kirche gemeint sein sollte. Hammer-Tugendhat untersucht,
inwieweit negative Bewertungen von Lust und Sexualität in Darstellungen
der Luxuria zum Ausdruck kommen, und stellt für die gotische Kunst
zum Unterschied von der romanischen fest, daß sie die Luxuria meist
in einer Weise zeigt, die keine solchen negativen Konnotationen erkennen
läßt, so etwa in Gestalt der auf einem Bock reitenden nackten
Frau, wie sie auf einer Konsole in St. Etienne in Auxerre aus dem 14.
Jahrhundert zu sehen ist. Dies ist Anlaß zu Überlegungen, ob
eine solche Entwicklung Rückschlüsse auf eine entsprechende
Veränderung im Verhältnis zwischen den Geschlechtern zuläßt,
was Hammer-Tugendhat verneint; statt dessen, so ihre These, habe sich
der Einfluß des Klerus auf die künstlerische Gestaltung im
Lauf der Zeit vermindert, und Laien hätten nun stärker bestimmt,
wie gewisse Inhalte ausgedrückt worden seien. Überzeugend an
dieser These ist jedenfalls, daß Kunst nicht einfach als »Übersetzung«
von ideologischen Vorstellungen aufzufassen ist, sondern Ergebnis eines
komplexen Wechselspiels ist, in dem freilich auch theologische Spekulationen
eine Rolle spielen.
Unter dem Kriterium der »Geschlechterbeziehung« wären
zu diesem Aufsatz einige Anmerkungen zu machen. Entgegen Hammer-Tugendhats
Behauptung ist Luxuria durchaus nicht »selbstredend« eine
Frau (S. 14), obwohl die Darstellung dieses Lasters als Frau häufiger
ist. Abgesehen von den Beispielen einer Luxuria-Darstellung durch ein
Liebespaar, die die Autorin selbst erwähnt, sind in diesem Zusammenhang
Abbildungen der Luxuria als Mann zu nennen, so auch in der einprägsamen
Darstellung des Reiters auf einem Bock, wie auf einem Kapitell in St.
Nectaire aus dem 12. Jahrhundert. Dieser letztere Fall ist übrigens
auch ein Beispiel für eine romanische Darstellung der Luxuria, die
in der moralisierenden Bewertung ähnlich neutral ausfällt, wie
es Hammer-Tugendhat für die gotische Kunst behauptet.
Auch sonst sind die Rollen der Geschlechter im Mittelalter nicht in allen
Stücken so grundverschieden, wie von Hammer-Tugendhat geargwöhnt.
So zitiert die Autorin Joachim Bumkes Höfische Kultur, daß
Ehebruch nach mittelalterlicher Rechtsauffassung ein Delikt gewesen sei,
das nur von Frauen begangen werden konnte, während der Mann so wie
auch bei Vergewaltigungen straffrei ausgegangen sei. Allerdings setzt
Bumke selbst im zitierten Werk mit einer anekdotischen Aufzählung
von Fällen fort, in denen männliche Ehebrecher vor allem von
den betroffenen Ehemännern empfindlich bestraft, insbesondere auch
verstümmelt und getötet wurden. Die Tötung eines auf der
Tat betretenen Ehebrechers war nämlich in einer Reihe von Rechten
erlaubt, wie schon bei Grimm (Deutsche Rechtsaltertümer, S. 743-744)
nachzulesen ist. Aus dem Sachsenspiegel ergibt sich, daß bei Ehebruch
(ohne daß für männliche Täter besondere Schonung
vorgesehen wäre) und bei Vergewaltigung einer Frau die Enthauptung
des Täters vorgesehen war. Es kann also keine Rede davon sein, daß
Männer im Mittelalter straffrei Vergewaltigungen und Ehebruch begehen
konnten.
Van Eyck
Jan Van Eyck produzierte einige wenige Aktbilder, von denen überdies
nur die beiden Bilder von Adam und Eva vom Genter Altar erhalten sind.
Zwei weitere Bilder sind verloren, davon ist eines in Form zweier Kopien
überliefert, ein anderes nur aufgrund eines Berichtes des Zeitgenossen
Bartolomäus Facius bekannt. Zunächst vergleicht Hammer-Tugendhat
die beiden Genter Tafeln, die bei aufgeklapptem Altar in der oberen Hälfte
links und rechts außen zu sehen sind. Aufgrund ihres Oberflächennaturalismus
beeindruckten sie Zeitgenossen und Nachwelt und schockierten sie auch
manchmal (eine Zeitlang wurden die Tafeln durch Kopien ersetzt, auf denen
Adam und Eva züchtig mit Fellen bekleidet sind). Der Charakterisierung
der Autorin, wonach Adam nach der Körperhaltung und der Modellierung
der Muskulatur im Vergleich zu Eva als aktiver und dynamischer gekennzeichnet
wird, ist zuzustimmen. In weiterer Folge interpretiert Hammer-Tugendhat
diese unterschiedliche Darstellungsweise vorsichtig als hierarchische
Unterordnung Evas unter Adam, was jedoch aus dem Werk selbst nicht abgeleitet
werden kann (der von der Autorin in diesem Zusammenhang erwähnte
Umstand, daß über Adam das Opfer Kain und Abels dargestellt
ist, über Eva aber der Brudermord, beruht auf einem Zufall - der
Altar ist von links nach rechts zu lesen, weshalb das Opfer links und
der Brudermord rechts plaziert sind; und in der Bildtradition des Sündenfalls
stehen eben zufällig auch Adam links und Eva rechts).
Die beiden verlorenen Bilder Van Eycks stellen Badeszenen dar, auf denen
nackte Frauen zu sehen sind. Inhaltlich wurden sie auf verschiedene Weise
(etwa als Bathseba oder Judith) gedeutet, Hammer-Tugendhat bevorzugt eine
Interpretation, die von biblischen oder allegorischen Bezügen weitgehend
losgelöst ist. Demnach ginge es Van Eyck darum, das Aktbild auf die
Darstellung des weiblichen Körpers zu reduzieren »und gleichzeitig
den Mann aus dem erotischen Bilde zu eliminieren und ihm den Platz als
Betrachter vor dem Bild zuzuweisen« (S. 92). Jan Van Eyck habe wesentlich
dazu beigetragen, daß bereits ab der Renaissance und spätestens
ab dem 16. Jahrhundert Aktdarstellungen überwiegend auf Bilder von
Frauen beschränkt würden, während der männliche Akt
mit Ausnahme des weiterhin wichtigen Bereichs öffentlicher repräsentativer
Darstellungen verschwinden würde. Das erotische Aktbild würde
in der Neuzeit ein Bild von Frauen: »Alles, was mit Körper,
Sexualität, Erotik und Natur verbunden ist, wird mit der Frau identifiziert«
(S. 93). Abgesehen davon, daß der Einfluß Van Eycks angesichts
von gezählten zwei (verlorenen) Bildern mit einschlägiger Thematik
bezweifelt werden kann, muß der These Hammer-Tugendhats auch sonst
widersprochen werden, obwohl grundsätzlich von der Produktionsseite
her die Vorstellung von geschlechtsspezifischer erotischer Kunst nicht
unplausibel ist, waren doch fast alle Künstler und viele (wenn auch
nicht alle) Auftraggeber Männer. Es ist auch keine Frage, daß
in der Neuzeit mehr weibliche Akte als männliche Akte gemalt wurden.
Dennoch lassen sich auch nach dem 16. Jahrhundert zahlreiche Beispiele
von Kunstwerken finden, in denen nackte Männer eindeutig in erotischem
(auch homoerotischem, wie etwa bei J. Broc) Zusammenhang dargestellt sind.
So wie bei den weiblichen Akten werden häufig auch religiöse,
mythologische oder historische Sujets als Vorwand für die Herstellung
männlicher Akte genommen, das wichtigste darunter (vom gekreuzigten
Christus und Adam und Eva abgesehen) der hl. Sebastian in unzähligen
Darstellungen, weiters diverse öfters vorkommende Themen aus der
antiken Mythologie (Amor und Psyche, Ganymed), aber auch entlegenere Themen
wie Hero beweint den toten Leander (Jan van den Hoecke, Wien), Bacchus
und Ceres (bei Bartholomäus Spranger in Wien mit einem nackten Bacchus
und einer bekleideten Ceres), ein unmotiviert nackter Charon bei Pierre
Subleyras (Paris) oder Jacques-Louis Davids ebenso unmotiviert nackte
Spartaner bei den Thermopylen (Paris) und so weiter. Sogar den Mann im
Bad als Gegenstück zu Van Eycks Badebildern gibt es bei Gustave Caillebotte
(Josefowitz Collection); und ein Jahrhundert früher Pierre-Paul Prudhons
Das Bad, mit einem nackten Mann und einer nackten Frau in seelenvoller
Zweisamkeit. Daß es einen »männlichen Blick« in
der Malerei sowohl beim Maler als auch beim Betrachter (nicht jedoch bei
der Betrachterin!) geben mag, wird damit nicht bestritten, doch sind Hammer-Tugendhats
Verallgemeinerungen einfach überzogen.
Garten der Lüste
Hieronymus Boschs Garten der Lüste (Madrid) wurde in der Literatur
meist so interpretiert, daß der Maler Vorstellungen aus der theologischen
Morallehre in ein Bild transponieren wollte. Der Garten der Lüste
steht in der Mitte des Triptychons, links und rechts sind das Paradies
beziehungsweise die Hölle dargestellt. Hammer-Tugendhat wendet sich
gegen eine moralisierende Interpretation, besonders wegen des idyllisierenden
Grundzugs der Mitteltafel, die nicht die Abscheulichkeit des Lasters vor
Augen führen würde, sondern einen heiteren, unkomplizierten
Umgang mit verpönten Sachen. Hier wäre allerdings zu bedenken,
daß in der (gar nicht so häufig dargestellten) Gegenüberstellung
der Erde mit dem Jenseits, ob Gericht, Paradies oder Hölle, die Erde
auch sonst nicht ein Ort des Schreckens sein muß. Irdische Verzweiflung
mag in eschatologischen Darstellungen wie den Antichrist-Szenen Luca Signorellis
in Orvieto durchaus vorkommen, in anderen Zusammenhängen wie etwa
dem Triumph des Todes im Camposanto von Pisa finden sich dagegen sehr
wohl idyllisierende irdische Szenen. Die Schrecken des Lasters werden
eben erst in der Hölle wirklich offenbar. Dennoch ist der Garten
der Lüste ein so ungewöhnliches Werk, daß die Interpretation
der Autorin zutreffen mag. Daß der Maler mit diesem Werk »einen
objektiven Widerspruch zur Sexualunterdrückung der Inquisition«
(S. 42) erhoben habe, wie die Autorin abschließend meint, geht indessen
zu weit; die Äußerung geht darauf zurück, daß Hammer-Tugendhat
die Inquisition auf eine Institution zur Bekämpfung des Hexenwesens
reduziert und die Hexenjagd ihrerseits nur als Aktion zur sexuellen Unterdrückung
auffaßt. Tatsächlich war die Inquisition weit mehr als Hexenjagd
(und die Bekämpfung der Katharer war schon gar keine Unterdrückung
hemmungsloser Sexualität), und auch die Hexenjagd selbst geht auf
eine komplexe Vorstellungswelt zurück und ist nicht nur durch die
Verfolgung vermeintlicher sexueller Vergehen motiviert. Hammer-Tugendhats
Fixierung auf den Hexenhammer als Quelle für die Erklärung der
Hexenjagd (der Hexenhammer ist nur das bekannteste unter vielen einschlägigen
Traktaten) hat die Autorin auf diese Weise in die Irre geführt.
Tizian
Der Aufsatz über die Aktmalerei Tizians ist für diese Sammlung
neu verfaßt worden. Das Hauptthema ist der Blick auf die nackte
Frau, was sowohl den Blick anderer Protagonisten im Bild als auch den
Blick des Kunstbetrachters meint. Die wahrscheinlich extremsten Beispiele
für den Blick des Mannes auf die nackte Frau bieten die in mehreren
Fassungen erhaltenen Bilder Venus und Orgelspieler beziehungsweise Venus
und Lautenspieler, wo eine nackte liegende Venus zu sehen ist, die von
einem orgel- oder lautenspielenden bekleideten Mann ungeniert betrachtet
wird. Bilder mit Männern, die nackte Frauen anschauen, sind auch
bei anderen Malern öfters zu finden, bei einigen Bildtypen sind sie
vom Sujet her vorgegeben, so bei der Susanna im Bade oder bei Bathseba.
Hammer-Tugendhats These geht dahin, daß bei diesen Bildern tendenziell
die Frauen in den Vordergrund gerückt werden und die schauenden Männer
in die Unauffälligkeit verschwinden oder gar nicht mehr vorkommen,
sodaß der Betrachter selbst die Position des Voyeurs einnehmen muß
oder darf. Dies gelte auch für Bilder mit Vergewaltigungsszenen wie
Lukretia-Darstellungen, in denen schließlich der Vergewaltiger verschwinden
würde und nur mehr die vergewaltigte Frau dem Blick dargeboten werde.
Mit der These vom voyeuristischen männlichen Blick im Bild und vor
dem Bild dürfte Hammer-Tugendhat richtig liegen, doch ist die extreme
Formulierung ihrer These wieder überzogen. Abgesehen davon, daß
auch Frauen die Bilder sehen, wird in Tizians Venus und Musiker-Bildern
der Musiker eben gerade nicht unauffällig behandelt, sondern seine
Rolle als Voyeur wird entsprechend herausgestrichen. Zum anderen stellen
die Vergewaltigungsbilder wahrlich kein Beispiel für ein »Unsichtbarwerden
und die damit implizierte Verdrängung männlichen Begehrens und
männlicher Gewalt« (S. 18) dar - dies wird bereits in den von
Hammer-Tugendhat selbst beigebrachten Beispielen deutlich, wo Marcantonio
Raimondi und Tintoretto den Vergewaltiger nackt zeigen und insbesondere
bei Tintoretto und Tizian ein ausgesprochen gewalttätiger Eindruck
entsteht. Ganz gegen die These Hammer-Tugendhats stehen auch andere Beispiele
wie etwa Guercinos Amnon verjagt Tamar, nachdem er sie vergewaltigt hat
(Washington), wo die Gewalttätigkeit und Grausamkeit des (wieder
nackt dargestellten) Mannes drastisch vor Augen geführt werden. Nicht
richtig ist auch die Auffassung der Autorin, daß in Bildern, in
denen Frauen wachen und Männer schlafen, »die weiblichen Figuren
niemals die nackten Männer betrachten, wie dies umgekehrt immer der
Fall ist« (S. 9). Zu den beiden von Hammer-Tugendhat dafür
gebrachten Belegen (bei Botticellis Mars und Venus (London) scheint Venus
tatsächlich knapp am schlafenden Mars vorbeizublicken) lassen sich
ohne weiteres Gegenbeispiele bringen, so Francesco Solimenas Diana und
Endymion (Liverpool), wo der nackte Jüngling von der Göttin
mit größtem Interesse betrachtet wird, oder die Entführung
des Kephalos vom selben Maler (früher im Belvedere, jetzt zerstört).
Die bösen Mütter
Die bösen Mütter heißt ein Bild des Trentiner Malers
Giovanni Segantini aus dem Jahr 1894, das sich heute in der Neuen Galerie
in der Stallburg in Wien befindet. Das Bild ist von einem Gedicht von
Luigi Illica angeregt und zeigt (außer Frauen im Hintergrund) unter
anderem im Vordergrund eines weiten Schneefelds einen Baum mit dürren
Ästen, in dessen Krone sich eine Frau befindet. Aus einem Baumast
wächst ein Kinderkopf hervor, der an der Brust der Frau saugt. Es
ist dies eine genaue Umsetzung der betreffenden Passage in Illicas Gedicht:
»Das Phantasma zu dem süßen Ruf/ fliegend eilt und bietet
dem zitternden Ast/ die Brust, die Seele./ o Wunder! Sieh! Dem Ast schlägt
ein Herz!/ Der Ast hat Leben!/ Nun! Es ist das Gesicht eines Kindes, das
an der Brust saugt« (S. 149). Das Bild wurde in der Literatur in
unterschiedlicher Weise kommentiert, wobei die Interpreten so manche Dinge
dargestellt sahen, die Segantini gar nicht gemalt hat, sondern von denen
sie aufgrund der Lektüre annahmen, daß sie dasein könnten.
Es ist zu begrüßen, daß sich Hammer-Tugendhat gegenüber
solchen Kommentaren um eine nüchterne Beschreibung des Bildes bemüht.
Ihre eigene Interpretation mündet allerdings dann doch wieder in
Vorstellungen, die ebenfalls assoziativen Charakter haben, wenn sie auch
nicht so offenkundig falsch sind wie manches, was andere Autoren bemerkten.
Hammer-Tugendhats Auffassung von dem Bild läuft darauf hinaus, daß
Segantini mit den Bösen Müttern ein Bild von einer orgastischen
Frau gemalt habe und, da es sich zugleich um eine stillende Frau handelt,
den »Konflikt zwischen dem Bild der Frau als Mutter und als erotisch-sexueller
Frau« thematisiere (S. 151-152). Die Interpretation der Autorin
stützt sich auf ein anderes Bild Segantinis, Liebesgöttin (Mailand,
Galleria dArte Moderna), auf dem eine Liebesgöttin in einer
Haltung dargestellt ist, die der der Frau in Die bösen Mütter
ähnelt. Ebenso gibt es Parallelen mit der Farblithographie Madonna
(Empfängnis) von Edvard Munch. Im weiteren führt Hammer-Tugendhat
aus: »Die Widersprüche in der ästhetischen Struktur und
in der Bedeutung der ikonographischen Elemente verweisen auf die patriarchale
Doppelmoral. Sie ermöglicht dem männlichen Künstler und
Betrachter die erotischen Reize der Frau zu genießen und dabei gleichzeitig
die Frau moralisch zu verurteilen« (S. 157). Abgesehen davon, daß
ein »Widerspruch« im Bild nicht zu erkennen ist (und auch
schwer vorstellbar ist, worin er bestehen könnte), sondern nach Hammer-Tugendhats
Lesart lediglich ein Konflikt, geht die Interpretation der Autorin ziemlich
weit. Plausibel ist schon aus den eigenen Äußerungen des Malers
die Annahme, daß das Bild einen moralisierenden Zug hat: »Als
ich die schlechten Mütter strafen wollte und die eitlen und unfruchtbaren
Wollüstigen, malte ich die Strafe im Fegefeuer«
(S. 150) (das Bild wurde von Segantini unter verschiedenen Titeln geführt).
Freilich ist die Annahme, daß die Frau dann als orgastische Frau
gemalt würde, nach dieser Intention des Malers nicht gerade überzeugend.
Hammer-Tugendhats Erklärung: »Im Bild konkretisiert sich offensichtlich
Unbewußtes und reale Lebenserfahrung, die nicht mit dem Bewußtsein
des Malers übereinstimmen« (S. 158) - Segantini hat also nicht
gewußt, was er malte, erst die Kunsthistorikerin hat es erkannt.
Auf ihre Art ist Hammer-Tugendhats Analyse ebenso phantasievoll wie die
ihrer Vorgänger.
Zusammenfassung
Die Aufsätze dieser kumulativen Habilitionsschrift betreffen bekannte
und weniger bekannte Werke. Besonders bei den bekannten Werken, aber auch
bei den Ausführungen über die Luxuria, sind viele der Einzelbeobachtungen
schon früher in der Literatur zu finden gewesen. Das Interessante
und Diskussionswürdige an dieser Sammlung sind daher die interpretatorischen
Schwerpunkte, auch sie gewiß nichts ganz Neues, aber jedenfalls
die Beschäftigung wert. Diese Thesen rund um die Herausbildung einer
spezifisch auf den weiblichen Körper bezogenen Darstellung von Nacktheit
und Lust, die Bedeutung des männlichen Blicks in der Ikonographie,
aber auch in der Entstehung und Rezeption von Kunst, sind in der Tendenz oft richtig,
in ihrer bei Hammer-Tugendhat verallgemeinerten Form aber zumeist überzogen
- zu den meisten Thesen lassen sich leicht Gegenbeispiele finden, und
nicht nur entlegene und irrelevante, sondern auch Werke wichtiger Meister.
Mehr Differenzierung hätte diesen Aufsätzen gut getan.
Grob vereinfachend fällt auch die Charakterisierung des geistesgeschichtlichen
Hintergrunds besonders im kirchengeschichtlichen Bereich aus. Ohnehin
wirkt es nie überzeugend, wenn stets »die Kirche« nach
ihren inhaltlichen Positionen charakterisiert wird, ohne daß klar
wird, welche Teile der katholischen Kirche gemeint sind. Gerade in einer
Analyse, die Veränderungen in der Kunst mit Blick auf geistesgeschichtliche
Prozesse erklären soll, sind solche Vereinfachungen irreführend.
Positiv ist hingegen hervorzuheben, daß Hammer-Tugendhat künstlerische
Veränderungen nicht einfach als Abklatsch geistesgeschichtlicher
Prozesse auffaßt, sondern die verhältnismäßige Autonomie,
unter der Künstler arbeiten konnten, betont.
Anmerkung
1. Es handelt sich um folgende Arbeiten: a) Venus und Luxuria. Zum Verhältnis
von Kunst und Ideologie im Hochmittelalter, in: Ilsebill Barta u. a. (Hg.),
Frauen-Bilder-Männer-Mythen, Berlin 1987, 13-34; b) Jan van Eyck
- Autonomisierung des Aktbildes und Geschlechterdifferenz, in: Detlef
Hoffmann (Hg.), Der nackte Mensch, Marburg/L. 1989, 80-101; c) Erotik
und Inquisition. Zum »Garten der Lüste« von Hieronymus
Bosch, in: Renate Berger/Daniela Hammer-Tugendhat (Hg.), Der Garten der
Lüste. Zur Deutung des Erotischen und Sexuellen bei Künstlern
und ihren Interpreten, Köln 1985, 10-47. d) Erotik und Geschlechterdifferenz.
Aspekte zur Aktmalerei Tizians, 36 S., 31 Tafeln; e) Zur Ambivalenz patriarchaler
Geschlechterideologie in der Kunst des späten 19. Jahrhunderts. »Die
bösen Mütter« von Giovanni Segantini, in: Edith Saurer/Heide
Dienst (Hg.), »Das Weib existiert nicht für sich«. Geschlechterbeziehungen
in der bürgerlichen Gesellschaft, Wien 1990, 148-161.