Frühling–Sommer 2009
Habilitation Gerald Kohl
Von Michael Pammer
Stockwerkseigentum

»Es war ein sogenanntes ›Teilhaus‹; denn in diesem Stadtviertel, nur hier, gab es noch die Besonderheit, die später den Grundbüchern und Juristen einige Kopfschmerzen machte: Man konnte auch einzelne Stockwerke erwerben, ohne den Boden selbst in Eigentum zu bekommen. Man lebte also eigentlich im wahren Sinn der Worte in der Luft, in einem Luftschloß« (58) – diese einprägsame Kennzeichnung des Stockwerkseigentums stammt vom Juristen Max Brod, der in seinem zuerst 1947 auf Hebräisch erschienenen Roman Ein Sommer, den man zurückwünscht so die Verhältnisse in der Prager Josefstadt beschreibt. Das ehemalige Ghetto wies so wie andere stark jüdisch geprägte Wohngebiete tatsächlich einen besonders hohen Anteil an Stockwerkseigentum auf. Allerdings wäre es ein Mißverständnis, aus Brods »nur hier« zu schließen, daß dieses Rechtsinstitut sonst unbekannt gewesen wäre.

Der Wiener Rechtshistoriker Gerald Kohl zitiert Brod in der Einleitung zu seinem Buch
Stockwerkseigentum. Geschichte, Theorie und Praxis der materiellen Gebäudeteilung unter besonderer Berücksichtigung von Rechtstatsachen aus Österreich. Berlin (Duncker & Humblot) 2007 (= Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 55), 575 S., euro 86,40
Der Band ist die Druckfassung der 2005 angenommenen Habilitationsschrift.

Das Stockwerkseigentum ist eine Einrichtung, die historisch nicht nur interessant, sondern auch wirklich nahezu vergangen ist. Sie ist im Alltag zwar nicht völlig unbekannt, aber doch von so geringer Bedeutung geworden, daß sie in der Rechtswissenschaft den Charakter einer Kuriosität hat, die in den Lehrbüchern nur als Nebenbemerkung vorkommt. Nichtjuristen kommen damit ohnehin so gut wie nie in Berührung. Der Grund für das nahezu völlige Verschwinden dieses Rechtsinstituts liegt in Österreich in dem 1879 gesetzlich verankerten Verbot der Neubegründung von Stockwerkseigentum und in der Umwandlung von Stockwerkseigentum in Miteigentum und im besonderen, seit dessen Einführung, in Wohnungseigentum. Der Weg zu diesem Verbot ist eines der Themen der vorliegenden Untersuchung.

Begriffliches

Der Unterschied zwischen Stockwerkseigentum und Miteigentum besteht im Verhältnis mehrerer Eigentümer zu einer Sache. Praktisch geht es um Häuser, die mehrere Eigentümer haben. Im wesentlichen gibt es dabei zwei Möglichkeiten:

– Das Haus kann zwischen mehreren Eigentümern real aufgeteilt sein. Das bedeutet, daß jeder Eigentümer das volle Eigentumsrecht (samt allen daraus resultierenden Folgen) an dem ihm gehörigen Teil des Hauses hat, an den Teilen der anderen Eigentümer ihm aber kein Recht zukommt. Im Fall einer Liegenschaft hat ein Eigentümer also etwa das volle Eigentumsrecht an einer Wohnung, aber kein Recht an den anderen Wohnungen oder am Boden. Dies ist die Regelung des Stockwerkseigentums. Der Begriff wird nicht nur für das Eigentum an ganzen Stockwerken, sondern auch an sonstigen Teilen von Gebäuden wie Wohnungen verwendet. (Regional wurden für das Stockwerkseigentum unterschiedliche Bezeichnungen verwendet, und es gab auch verschiedene Varianten in der Ausgestaltung im einzelnen, etwa in der Behandlung gewisser Gebäudeteile wie des Dachs, die dann doch auch wieder als gemeinschaftliches Eigentum behandelt wurden.)
– Die Alternative ist der Anteil eines jeden Eigentümers an der ungeteilten Sache im jeweiligen Ausmaß. Jedem Eigentümer gehört in diesem Fall eine Quote an der gesamten Sache, im Fall einer Liegenschaft also eine Quote an allem, was die Liegenschaft ausmacht, somit auch eine Quote an jeder Wohnung. (Dies ist auch die Regelung des 1948 in Österreich eingeführten Wohnungseigentumsgesetzes, das allerdings jedem Eigentümer das dingliche Recht einräumt, eine bestimmte selbständige Wohnung oder sonstige Räumlichkeit ausschließlich zu benützen und darüber allein zu verfügen; diese Regelung ist aber nicht mit einer realen Aufteilung zu verwechseln.)
Die Unterscheidung zwischen real geteiltem Eigentum und Miteigentum hat sowohl juristisch-dogmatische als auch praktische Bedeutung, und beides spielte in der Reform des Stockwerkseigentums im 19. Jahrhundert eine Rolle.

Dogmatische Anliegen

Die dogmatischen Aspekte und ihre Bedeutung für die Gesetzgebung kommen in Kohls Arbeit sehr gut heraus. Es wird gut erkennbar, wie die juristische Dogmatik und Systematik, die aus verständlichen Gründen eher nur Juristen und weniger der Allgemeinheit ein Anliegen ist, die Gesetzgebung bestimmte. Besonders trat dabei Philipp Harras von Harrasowsky, Referent im Justizministerium, hervor, der offenkundig vom Bedürfnis getrieben war, eine systematische Inkonsistenz im Zivilrecht zu beseitigen.

Die Inkonsistenz lag nach dieser Sichtweise darin, daß einerseits die reale Teilung einer Sache voraussetzt, daß die Sache ihrer Natur nach überhaupt teilbar ist, und andererseits, so die Annahme, Gebäude nicht geteilt werden können. Der Grund für letztere Auffassung lag in einem engen Begriff von Teilbarkeit, demzufolge eine Sache dann teilbar ist, wenn nach der Teilung zwei Sachen entstehen, die unabhängig voneinander bestehen können. Der Urentwurf des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) definierte teilbare Sachen gar als »Sachen, die nach ihrer Trennung noch ihre vorige Wesenheit und Benennung beibehalten« (75). Teilbar ist nach dieser Auffassung eine gewisse Menge Getreide, aus der nach der Teilung zwei Mengen Getreide entstehen, nicht aber ein Haus, da daraus nicht zwei Häuser entstehen. Der Codex Theresianus sah die Unteilbarkeit allerdings noch differenzierter: Er unterschied zwischen einer quasi echten Unteilbarkeit in dem Fall, daß eine Sache durch reale Teilung zerstört würde (etwa ein Gemälde), und einer anderen Art von Unteilbarkeit, bei der Teile einer Sache sehr wohl voneinander gesondert werden können (eben als Wohnungen eines Hauses), auch wenn sie in ihrer Gesamtheit ein davon verschiedenes Ganzes bilden (ein Grundstück samt dem darauf stehenden Haus).

Das ABGB enthält keine ausdrückliche Regelung zum Stockwerkseigentum, läßt es aber offensichtlich zu: »§. 361. Wenn eine noch ungetheilte Sache mehrern Personen zugleich gehört; so entsteht ein gemeinschaftliches Eigenthum. In Beziehung auf das Ganze werden die Miteigenthümer für eine einzige Person angesehen; in so weit ihnen aber gewisse, obgleich unabgesonderte Theile angewiesen sind, hat jeder Miteigenthümer das vollständige Eigenthum des ihm gehörigen Theiles.« Das heißt, daß ein »unabgesonderter« (und umso mehr ein »abgesonderter«) Teil einer Sache Gegenstand des vollständigen Eigentums eines Miteigentümers sein kann, was ein Stockwerkseigentum möglich macht.

Harrasowskys Leistung bestand darin, diese und weitere Bestimmungen des ABGB im gegenteiligen Sinn zu interpretieren, sodaß sie ein Stockwerkseigentum ausschließen würden. Seine Begründung stellte das ABGB als Ergebnis der Rezeption des römischen Rechts dar, das sich somit im Einklang mit diesem befinden würde. (Wenngleich nicht sicher ist, daß dem römischen Recht ein Stockwerkseigentum unbekannt war, wurde in diesem Sinn doch der römischrechtliche Grundsatz verstanden, daß ein Gebäude hinsichtlich des Eigentumsrechts dem Boden folgt, auf dem es steht.) Diese vermeintlichen Grundsätze des ABGB seien nicht allgemein »in die Lebensgewohnheiten eingedrungen« (117), vielmehr würden im Fall der realen Gebäudeteilung deutschrechtliche Grundsätze, sprich die reale Teilung, zur Anwendung gelangen. Damit würde zwar »oft das praktische«, aber »nie das logische Bedürfnis befriedigt« (117). Es ist nicht übertrieben, in diesem Bedürfnis nach innerer Logik der Rechtsordnung die Hauptmotivation für die Aktionen des Referenten und damit des Justizministeriums insgesamt zu sehen.

Der Weg zum Verbot des Stockwerkseigentums ging über mehrere Etappen. Wichtig waren lokale und regionale Sonderregelungen, die bereits vor dem allgemeinen Verbot 1879 gebietsweise die Neubegründung von Stockwerkseigentum verboten. Initiiert wurden diese Regelungen von den lokalen Behörden, die freilich nicht vom ästhetischen Bedürfnis nach einem kristallklaren römischrechtlichen Zivilrecht getrieben waren, sondern eher von dem Wunsch, sich das Leben als Verwaltungsbeamte zu erleichtern (dazu unten).

Im Jahr 1876 organisierte schließlich das Justizministerium eine Enquete zu dieser Frage, bei der die Gerichtshöfe (Kreis- und Landesgerichte) und die Oberlandesgerichte Stellung nahmen. Gefragt wurde danach, ob das ABGB das Stockwerkseigentum erlaube, ob es mit anderen Gesetzen vereinbar sei, ob man in Zukunft die reale Teilung verbieten solle und so weiter. Das Ergebnis ist interessant, nicht nur weil es möglicherweise nicht ganz den Erwartungen der maßgebenden Beamten im Justizministerium entsprach, sondern auch weil die zutage tretende Divergenz in den Rechtsmeinungen von Gerichten weiter geht, als man es innerhalb einer Rechtsordnung erwarten würde. Schließlich ging es nicht um die Entscheidung in einer konkreten Rechtssache (die oft je nach Gericht unterschiedlich ausgehen kann), sondern um die schlichte allgemeine Frage, was überhaupt im wichtigsten zivilrechtlichen Gesetzeswerk des Landes steht. Die Gerichte lasen das ABGB unterschiedlich: Knapp ein Drittel der 61 Gerichte, deren Voten vorliegen, stellte ausdrücklich fest, daß eine reale Gebäudeteilung nach der gegebenen Rechtslage unzulässig sei, davon der größere Teil ohne konkrete Begründung; ob das ABGB die reale Teilung verbiete, wurde von verschiedenen Gerichten in gegensätzlichem Sinn beantwortet. Explizit wurde Harrasowskys Meinung, das Stockwerkseigentum sei mit dem ABGB nicht vereinbar, nur von drei Gerichten unterstützt (vom Großteil gab es allerdings gar kein Votum). Der größere Teil der Gerichte legte sich nicht fest.

Bei den Vorschlägen für die zukünftige Gesetzgebung ist das Bild klarer. Eine deutliche Mehrheit der Gerichte sprach sich für ein Teilungsverbot aus, einige wenige stellten fest, daß das Teilungsverbot ohnehin schon bestünde und daher keine gesetzliche Regelung notwendig sei. Fünf Gerichte sprachen sich gegen ein Teilungsverbot aus.

In Anbetracht dieses Ergebnisses kann die Enttäuschung Harrasowskys, die Kohl vermutet (114), nicht gar so groß gewesen sein. Sicherlich kam für seine dogmatischen Ansichten wenig Unterstützung (aber auch noch weniger Widerspruch) von den Gerichten; wichtiger wird wohl doch die klare Unterstützung für das zukünftige Gesetzesvorhaben gewesen sein.

Ideologie und Politik

In einem eigenen Abschnitt behandelt Kohl den Weg zum Wohnungseigentum in der Zwischenkriegszeit, auf dem das Stockwerkseigentum immer wieder zum Thema wurde. Zwar blieben dabei rechtsdogmatische Fragen selbstverständlich als solche präsent, bemerkenswert ist aber, welche Bedeutung nun ideologische Begründungen, aber auch eher pragmatische Lösungsansätze für ein konkretes sachpolitisches Anliegen gewannen. Das Anliegen als solches war klar, es ging um die Schaffung von Wohnraum, da das Bevölkerungswachstum, wenn auch in vermindertem Tempo, weiterging und schon vor dem Ersten Weltkrieg der Wohnbau mit dem Bevölkerungswachstum kaum hatte mithalten können.

Fraglich war, welche Eigentums- und Besitzverhältnisse man bei neuen Wohnungen anstreben sollte. Klar ideologisch begründet war dabei die Position einer Reihe deutscher völkischer und insbesondere nationalsozialistischer Juristen, die mit einem Eigentum an der Wohnstätte positiv bewertete Vorstellungen von Seßhaftigkeit – »verwachsen« sein mit dem »Boden« (182) – verbanden. Das Ideal, das eigene Haus, war freilich oft nicht realisierbar, ein Eigentum an einer Wohnung, als Stockwerkseigentum konstituiert, erschien eine mögliche Alternative. Der heute noch bekannteste Jurist, der sich in diesem Sinn äußerte, war der Staatssekretär Roland Freisler. Die Gedankenwelt, in der sich diese Autoren bewegten, läßt sich am besten mit der sorgenvollen Überlegung von Justus Wilhelm Hedemann, Vorsitzender des zuständigen Ausschusses in der Akademie für Deutsches Recht, illustrieren, der 1934 die Frage stellte, ob ein Stockwerkseigentum mit der eventuell leichten Verkäuflichkeit der Wohnungen und der entsprechend hohen Mobilität der Eigentümer dem »sittlichen Ernst« (182) des intendierten Bodeneigentums entsprechen würde. Es muß allerdings betont werden, daß sich das Stockwerkseigentum auch im Nationalsozialismus letztlich nicht durchsetzen konnte und in die Neukodifikation des Zivilrechts, die für die Zeit nach Kriegsende vorgesehen war, wahrscheinlich nicht aufgenommen worden wäre.

Eher praktisch orientiert, aber ebenfalls von einem politischen Anliegen getragen, präsentierten sich verschiedene Überlegungen zum Thema, die im Österreich der Zwischenkriegszeit angestellt wurden. Ein erstaunlich radikaler Vorschlag stammte vom christlichsozialen Architekten und Stadtplaner Heinrich Goldemund: Um das Angebot von Wohnungen zu erhöhen, schlug er vor, daß Bund und Gemeinden Aufbauten auf bestehenden Häusern allenfalls auch gegen den Willen der Eigentümer errichten sollten, wobei für diese Aufbauten ein Separateigentum zu schaffen wäre. Vorschläge des Wiener Rechtsanwalts Heinrich Kiwe 1925 und, zehn Jahre später, des »Blauen Adlers«, eines vom Präsidenten der Baugesellschaft Porr initiierten Verbands im Nahebereich der Vaterländischen Front mit sozialer Stoßrichtung, gelangten wiederum in die Nähe des späteren Wohnungseigentums: Sie sahen außer einem Sondereigentum an Wohnungen auch ein ideelles Miteigentum an den sonstigen Gebäudebestandteilen und am Grundstück und eine Eigentümergemeinschaft als handelnde Person vor (das entspricht der Regelung des deutschen Wohnungseigentumsgesetzes von 1951).
Die Wohnungseigentumsregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dann rasch beschlossen. Zwar wurde dabei in Deutschland mit der durch die Kriegszerstörungen hervorgerufenen Wohnungsnot argumentiert, die neue Rechtsinstrumentarien erforderlich mache, doch lag hier sicherlich nicht der wesentliche Grund – das Wohnungseigentum wurde in Deutschland, Österreich und der Schweiz ziemlich gleichzeitig eingeführt. Allerdings war es verschieden gestaltet: In Österreich ist Wohnungseigentum, wie erwähnt, Miteigentum an der gesamten Liegenschaft mit dinglichem Anspruch auf Nutzung einer bestimmten Wohnung; in Deutschland ist es Alleineigentum an der Wohnung, kombiniert mit Miteigentum an den gemeinschaftlichen Anlagen und eventuell ebenfalls Sondernutzungsrechten an bestimmten Liegenschaftsteilen (die Teilrechtsfähigkeit der Miteigentümergemeinschaft ist in Deutschland mittlerweile explizit gesetzlich verankert); die schweizerische Regelung ähnelt der deutschen. Die deutsche und schweizerische Regelung ist also zwar näher am Stockwerkseigentum als die österreichische, unterscheidet sich davon aber durch den zwingenden Miteigentum am Boden und den allgemeinen Gebäudeteilen.

Praktische Aspekte des Stockwerkseigentums

Abgesehen von den dogmatischen Aspekten eröffnet das Stockwerkseigentum eine Reihe von Fragen zu seiner sozialen und wirtschaftlichen Funktion und zu den Implikationen, die sich für das Zusammenleben der involvierten Eigentümer ergeben.

Die Frage läßt sich zum einen auf der Basis von Äußerungen diskutieren, die von Zeitgenossen, namentlich Verwaltungsbeamten, politischen Entscheidungsträgern und sonstigen Teilnehmern an der öffentlichen Auseinandersetzung abgegeben wurden. Solche Äußerungen sind jedenfalls für die Erklärung des Gesetzgebungsprozesses wichtig, kommen aber auch als Quelle für die faktischen Verhältnisse in Betracht, da viele der beteiligten Personen aus professioneller Beschäftigung Kenntnis davon hatten. Allerdings zeigt sich im vorliegenden Band, in dem viele dieser Beiträge zitiert werden, daß die Einschätzungen total divergierten. So gestand etwa Harrasowsky zu, daß das Stockwerkseigentum praktischen Bedürfnissen dienlich sei, andere Behörden waren aber wieder gegenteiliger Auffassung. Dies lag wohl an der unterschiedlichen Perspektive: Der Referent des Justizministeriums dachte wohl an die Befindlichkeit der Eigentümer, die separates Eigentum schätzen mochten, weil es sie in manchen Angelegenheiten der Notwendigkeit enthob, das Einvernehmen mit Miteigentümern zu suchen. Die lokalen Behörden dachten eher an die eigene Tätigkeit, bei der sie mit Grundeigentümern zu tun hatten; wenn dabei bei einer Liegenschaft mehrere Eigentümer auftraten, die unabhängig voneinander über Teile dieser Liegenschaft verfügen konnten, wurde dies mühsamer. In diesem Fall geht es vor allem um die Frage, wer in welchen die Liegenschaft betreffenden Angelegenheiten nach außen handeln konnte.

Eine andere immer wieder aufgeworfene Frage war jene nach dem inneren Frieden in einem Haus mit mehreren Eigentümern. Als Gemeinplatz findet man bei Zeitgenossen die Auffassung, daß das Stockwerkseigentum eine Quelle ständiger Streitigkeiten sei, eine Meinung, die jedoch nicht unbestritten blieb. Auch in der parlamentarischen Auseinandersetzung zum Gesetz von 1879 war es strittig, ob und welche Auswirkungen das Stockwerkseigentum auf den Gebäudezustand, auf die Entstehung von Nachbarschaftskonflikten und so weiter habe. In der Debatte verteidigte der Salzburger Abgeordnete Georg Lienbacher das Stockwerkseigentum auch mit dem Argument, es verursache keine ärgeren Streitigkeiten als andere Eigentumsformen auch (Lienbacher war zu dieser Zeit Oberlandesgerichtsrat in Wien, dann auch Mitglied des Reichsgerichts). Der Salzburger Abgeordnete Franz Keil, Rechtsanwalt, behauptete das genaue Gegenteil: das Stockwerkseigentum provoziere Nachbarschaftsstreitigkeiten der ungutesten Art, die zum geringeren Teil vor Gericht kämen und jedenfalls oft eine dauernde Feindseligkeit hervorrufen würden. Im Zug des Vorstoßes des »Blauen Adler« berief sich dessen Präsident, Karl Drexel, 1937 auf Erfahrungen mit dem Stockwerkseigentum im Ausland, die das Problem der Nachbarschaftsstreitigkeiten als nicht gar so schwerwiegend erscheinen ließen (195). Der schweizerische Nationalrat Armin Meili verwies so wie andere auf Streitigkeiten zwischen Mietern und Vermietern und zwischen Mietern untereinander, die ebenso häßlich ausfallen könnten wie Konflikte zwischen Stockwerkseigentümern (208). Tatsächlich wird man wohl annehmen können, daß das Stockwerkseigentum zusätzlich zu den Konflikten, die es heute zwischen Wohnungseigentümern oder zwischen benachbarten Mietern gibt, wohl noch spezifische weitere Möglichkeiten zu Streit eröffnete, besonders wenn es an Liegenschaftsteilen, die für alle Bewohner relevant waren (etwa dem Dach), Sondereigentumsrechte gab oder die Eigentumsrechte (und damit Verantwortlichkeiten) unklar waren.

In der zweiten Hälfte des Bandes untersucht Kohl diese und andere Fragen unter dem altertümlich anmutenden Titel »Das Stockwerkseigentum im Rechtsleben« empirisch, und zwar in der Weise, daß er für jeden Aspekt zuerst die »Theorie«, gemeint sind die in der Literatur zu findenden Annahmen, darstellt und dann die »Rechtstatsachen« referiert. Die unter Historikern eher unübliche Terminologie stammt aus der Rechtswissenschaft. Unter Rechtstatsachen werden einfach Tatsachen verstanden, die im Zusammenhang mit einem Rechtsinstitut oder einem rechtlichen Vorgang relevant sind. Beispielsweise behandelt der Autor als ersten Punkt die »Topographie« von Stockwerkseigentum, das ist hier die Frage, ob das Stockwerkseigentum eher typisch städtisch oder typisch ländlich war und ob es in Hanglagen häufiger vorkam (was Hausformen mit getrennten Hauseingängen zu jedem Stockwerk möglich gemacht hätte). Als »Rechtstatsache« ergibt sich, daß das Stockwerkseigentum keine topographischen Besonderheiten aufweist.

Aus dieser Untersuchung der faktischen Verhältnisse ergibt sich vor allem das Bild einer enormen Vielfalt, was die Größe der geteilten Liegenschaften, die Anzahl der Anteile, die Größe der Anteile, die Art der Teilung, die Nutzungsarten und die gemeinsamen Gebäudeteile betrifft. Manche Ergebnisse kommen nicht unerwartet, etwa die geringere Zahl von Anteilen im ländlichen Gebiet, verglichen mit städtischen geteilten Immobilien. Enorme Unterschiede findet man bei der Aufteilung der Objekte: Vergleichsweise selten wurden einfache horizontale oder vertikale Teilungen vorgenommen, gelegentlich auch »diagonale« (das waren Teilungen, bei denen gezielt jedem Eigentümer Stücke in jedem Bereich der Liegenschaft zugesprochen wurden; damit teilte man auch die für jeden Bereich geltenden Vor- und Nachteile auf und erzeugte ein Verantwortungsgefühl eines jeden Beteiligten für die gesamte Liegenschaft). Am weitaus häufigsten kamen aber ganz unterschiedlich gestaltete Gemengelagen zustande, mit Anteilen, die sich überwiegend auf mehr als eine Ebene (und nicht selten auf vier Ebenen oder mehr) erstreckten und zu mehr als der Hälfte aus über zehn Raumeinheiten bestanden. Diese Verhältnisse waren auch regional recht unterschiedlich.

Ganz unterschiedlich waren auch die Eigentumsverhältnisse an den »sonstigen« Teilen eines Gebäudes mit Stockwerkseigentum gestaltet. So stand das Grundstück keineswegs im Miteigentum aller Stockwerkseigentümer, sondern konnte etwa nur einem von ihnen gehören (mit Wegerechten für die anderen); dies ist teilweise grundbücherlich nachweisbar, teilweise fehlen solche Hinweise aber. Auch das Dach konnte im Sondereigentum stehen. Für die Mauern gibt es keine ersichtlichen »Rechtstatsachen«, wohl aber verschiedene theoretische Überlegungen, denen zufolge bestimmte Teile des Mauerwerks gemeinschaftlich, andere im Sondereigentum befindlich gewesen wären. Gemeinschaftlich war hingegen in der Regel die Gebäudeinfrastruktur (Wasserleitung, Entsorgungsleitungen).

Jedenfalls bedeutete das Stockwerkseigentum ein Problem für die Grundbuchsführung, da man entscheiden mußte, in welcher Weise die separaten Teile einer Gesamtliegenschaft verbüchert werden sollten. Auch diese Diskussion war offensichtlich von der Dogmatik geprägt (separates Eigentum erfordere separate Verbücherung), während praktisch eine gemeinsame Verbücherung gar kein Problem gewesen wäre. Tatsächlich findet man eine Vielzahl von Ansätzen zur Lösung dieser Frage.
Wie stand es um die Stockwerkseigentümer selbst, ihr Verhältnis zum Objekt und ihr Verhältnis untereinander? Gegen die in der Literatur zu findende Vermutung, daß Stockwerkseigentum eher eine Angelegenheit der unteren Klassen gewesen sei, kann der Autor Einzelfälle anführen, in denen ganz beträchtliche Werte solcher Anteile ersichtlich werden; in anderen Fällen findet man wiederum lächerlich geringe Werte. Freilich bleibt offen, inwieweit dieser Befund einer weiten Streuung verallgemeinert werden kann. Das Geschlechterverhältnis unter den Eigentümern wird durch die narrative Darstellungsweise nicht sonderlich klar (Anteile konnten im Eigentum einer einzigen Person, von Ehepaaren oder sonstigen Personenmehrheiten stehen, was am besten tabellarisch oder graphisch darzustellen wäre).

Weitgehend offen bleibt die »rechtstatsächliche« Seite der in der politischen Diskussion so präsenten Frage der Konfliktträchtigkeit des Stockwerkseigentums. Hier beschränkt sich der Autor weitgehend auf die Darstellung des rechtlichen Rahmens (Nachbarrechte und dergleichen) und einige wenige anekdotische Informationen, wie Konflikte ausgetragen wurden.

Methodisches

Der Grund für die Kürze dieses letztgenannten Teils liegt in der methodischen Anlage der Studie. Kohl verwendet für die Untersuchung der administrativen Abläufe und der Gesetzgebung Verwaltungsakten verschiedener Herkunft, insbesondere solche des Justizministeriums. Diese Akten wurden gründlich untersucht, und es werden dabei die Verläufe der Entscheidungen in den Behörden gut verständlich.
Für den zweiten Teil, die Untersuchung der »Rechtstatsachen«, hat der Autor die Grundbücher ausgewertet und eine Datenbank mit den Informationen über die Liegenschaften und ihre Aufteilung (mit einer Reihe von Variablen) sowie über die Eigentümer (ebenfalls nach verschiedenen Kriterien) angelegt. Dabei wurden über achthundert Objekte erfaßt. Die Erhebung bezieht sich auf ganz Österreich, ausgenommen kurioserweise die Bezirksgerichte Landeck und Reutte, die »aufgrund der dort besonders häufigen Verbücherungsmethode nicht in die quantitative […] Untersuchung einbezogen« wurden (45–46). Die Begründung ist unverständlich. Sinnvoll wäre es gewesen, eine Zufallsstichprobe aus den in Landeck und Reutte vorkommenden Fällen zu ziehen und die Auswertung entsprechend zu gestalten. Dann spricht der Autor davon, daß es sich bei seiner Erhebung »mangels Repräsentativität um keine verallgemeinerungsfähige Stichprobe aus dem österreichischen Gesamtbestand« handle (46), was hinsichtlich der beiden Tiroler Gerichtsbezirke richtig ist (aber leicht hätte behoben werden können), im übrigen aber ebenfalls nicht recht verständlich ist. Als Fußnote findet man die Bemerkung: »Der Wert von Statistiken darf ohnehin nicht überschätzt werden.« (46, Fn 148) Dem kann man zustimmen – überschätzen sollte man überhaupt nichts –, für diese Untersuchung kann man aber sagen, daß sie den Wert einer statistischen Erhebung deutlich vor Augen führt. Wünschenswert wäre es gewesen, die mit viel Aufwand erhobenen Daten einer komplexeren Auswertung zu unterziehen und die Ergebnisse leichter überblickbar darzustellen. Kohl beschränkt sich auf einfache Auszählungen, seine Bemerkungen über personenbezogene Variationen in den Eigentumsverhältnissen und regionale Besonderheiten würden aber etwas aufwendigere Auswertungsverfahren nahelegen. Die Darbietung der Ergebnisse ist leider wirklich mangelhaft, weil es äußerst mühsam ist, ohne Unterstützung durch tabellarische oder graphische Zusammenfassungen längere Textpassagen zu rezipieren, in denen sich eine Prozentangabe an die andere reiht. Solche Daten sollen doch Vergleiche ermöglichen, die man dem Leser bei dieser Darbietungsform aber schwer macht.

Für den zuletzt genannten Gegenstandsbereich, die Konflikte zwischen den Eigentümern einer im Stockwerkseigentum stehenden Liegenschaft, findet man in den Grundbüchern wenig. Kohl hat sich dazu unter anderem mündlich informiert. Eine weitere Möglichkeit, an diese Frage heranzugehen, wäre die Auswertung von Zivilprozeßakten gewesen; allerdings ist zuzugestehen, daß dies nicht nur äußerst aufwendig wäre, sondern auch einen wesentlichen Teil des Geschehens weiterhin unbeachtet ließe, nämlich jene Streitigkeiten, die nicht gerichtsanhängig wurden.

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie bringt eine gründliche Untersuchung des Stockwerkseigentums als eines heute in dieser Form bedeutungslos gewordenen Rechtsinstituts, das aber durch seine Bezüge zu dem heute wichtigen Wohnungseigentum sehr wohl Interesse verdient. Die Untersuchung der Gesetzgebung hinsichtlich der Willensbildung in der Bürokratie, verschiedenen Interessengruppen und den gesetzgebenden Körperschaften ist aufschlußreich und überzeugend ausgefallen. Die Untersuchung der tatsächlichen Verhältnisse ergibt das Bild einer enormen Vielfalt der Ausgestaltung dieser Eigentumsordnung und ist mit beträchtlichem Aufwand durchgeführt worden. Wenngleich in diesem Teil die Auswertung die Möglichkeiten des erhobenen Datenbestands bei weitem nicht ausschöpft und die Darbietung der Ergebnisse nicht sonderlich befriedigend ausgefallen ist, bleibt insgesamt doch das Bild einer sehr gelungenen Studie zurück.

 

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letzte Änderung: 30.10.2015
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