Die vorliegende Habilitationsschrift wurde bereits im Jahr 2002 eingereicht.
Die Arbeit ist von ungewöhnlichem Umfang, sie beinhaltet mehr als
750 Seiten, womit erklärt werden kann, warum die Besprechung dieser
Habilitation erst so spät erfolgte. Mittlerweile liegt das dickleibige
Werk auch in gedruckter Form vor.1 Moll hat sich in seiner Habilitationsschrift
eines Nationalitätenkonflikts angenommen. Ungewöhnlich ehrlich
deklariert der Autor bereits auf Seite 1, daß nicht das Thema an
sich am Anfang seiner Arbeit stand, sondern ein Quellenfund: »Auch
im Leben des Historikers führt mitunter der Zufall Regie. Bei Recherchen
für (ein) Projekt […] entdeckte ich im Steiermärkischen
Landesarchiv zufällig von der Forschung noch nie genutzte Akten.«
In den Einführungslehrveranstaltungen des Faches Geschichte hört
man zwar, daß man auf diese Weise nicht vorgehen solle. Erkenntnisleitende
Interessen gelte es zuerst zu formulieren und so weiter, in der Realität
wird aber oft, auch unter akademischen Profis, anders agiert. Moll ging
dem Quellenfund nach – es handelte sich dabei um ein dickes Aktenkonvolut
hinsichtlich der Verhaftung katholischer Geistlicher in der Untersteiermark
im Jahre 1914 – und wurde immer weiter fündig:
Martin Moll: Kein Burgfrieden. Studien zum deutsch-slowenischen Nationalitätenkonflikt
vor dem und im Ersten Weltkrieg.
Der Autor stellt den Quellenfund auch in den Mittelpunkt seiner konzeptuellen
Überlegungen. Im Herzogtum Steiermark, dem Kronland der multiethnischen
Habsburgermonarchie, waren vor 1918 in erster Linie zwei Nationalitäten
vertreten, die deutschsprachigen Steirer und die Slowenen, wobei letztere
rund ein Drittel der Landesbewohner stellten. Zwischen den beiden Gruppen
hatte es seit Jahrzehnten heftige Konflikte gegeben, die sich um den slowenischen
Anspruch auf Verwirklichung der Gleichberechtigung drehten. Mit der Ermordung
des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo und dem Ausbruch des Ersten
Weltkrieges gerieten die nicht-deutsche Nationen in Österreich-Ungarn
unter starken Druck. In erster Linie betraf dies die südslawischen
Völker des Reiches, »Serbophilie« hieß das Schlagwort
der Anfeindungen nach dem tödlichen Anschlag. Wie aus dem Quellenfund
Molls hervorgeht, war im Sommer 1914 die slowenische Bevölkerung,
insbesondere slowenische Geistliche, mit einer Denunziationsflut konfrontiert.
Moll hält im Einleitungskapitel zu dem aufgefundenen Aktenkonvolut
fest: »Es war ein Aha-Erlebnis. Ich erkannte, dass es sich um
ein Massenphänomen handelte, von dem nur die Spitze des Eisbergs
aus dem Wasser ragte: Die Geistlichen, die lediglich einen kleinen Prozentsatz
aller in den ersten Kriegsmonaten festgenommenen Steirer und Steirerinnen
bildeten. Von diesem Augenblick an ließ mich die Thematik nicht
mehr los. Ich begann zu recherchieren und stellte fest, dass sich in der
landesgeschichtlichen Literatur so gut wie keine Erwähnung dieser
nicht gerade alltäglichen Ereignisse findet, die, nimmt man die Zahl
der Betroffenen als Maßstab, den Februar 1934 weit in den Schatten
stellen.« (1) Die Festgenommenen wurden der heimlichen oder
gar offenen Kollaboration mit dem serbischen Kriegsgegner beschuldigt,
hunderte Personen wurden insgesamt verhaftet. Moll hat umfangreiches Material
hinsichtlich der Kriegsjahre 1914 bis 1918 vorgefunden, in erster Linie
konzentrierten sich die Vorfälle auf die mehrheitlich slowenisch
besiedelte Untersteiermark.
Das Aktenmaterial legte für den Autor den Schluß nahe, daß
es im Kontext der genannten Aktionen nicht nur um kriegsbedingte Maßnahmen
ging. Jene Personen, die die Verfolgung der slowenischen Aktivisten betrieben,
hielten fest, daß es sich um die Bereinigung alter Konflikte, um
die Eliminierung lange bekannter Staatsfeinde handle (2). Die auch im
Rahmen der Militärgerichtsbarkeit durchgeführten Verfolgungen
stellten massives Unrecht dar, basierten auf Verleumdungen, viele Verhaftungen
erfolgten ungerechtfertigt, jeder fünfte Verhaftete und bei den Geistlichen
lediglich 2,6 Prozent der Verhafteten wurden tatsächlich verurteilt
(686). Im Jahre 1914 wurden in der Steiermark insgesamt im genannten Zusammenhang
951 Personen verhaftet, davon 504 in den untersteirischen Bezirken Marburg,
Cilli und Pettau. Bei den 216 Verurteilungen reichte die Spannweite von
einem Tag, ja wenigen Stunden, bis zu mehr als einem Jahr. Den »Rekord«
hielt dabei laut Moll der zwanzigjährige Franz Sever aus dem Bezirk
Pettau. Er war am 30. August 1914 verhaftet worden, nachdem er die Serben
öffentlich gepriesen haben soll. Er wurde zu einer fünfzehnmonatigen
Kerkerstrafe verurteilt, die er auch absitzen mußte (498).
Hinter der Kampagne standen im wesentlichen deutschnationale Verhetzungsstrategien,
wie das Zentralorgan der Sozialdemokratie der Steiermark ironisch vermerkte,
»das deutschnationale Bierherz in Wut und Haß überschäumen(d)«
(zit. nach Moll, 660). Der Autor entschloß sich angesichts der offenbar
nicht nur anlaßbezogenen Hetze, den Untersuchungszeitraum auf die
Periode 1900 bis 1918 auszudehnen. Im Zuge der Auswertung eines breiten
Quellenmaterials versuchte der Autor die Nationalitätenkonflikte
zwischen den beiden großen Bewohnergruppen der Steiermark, den Deutsch-Steirern
und den Slowenen, ab den späten neunziger Jahren sowie die Eskalation
dieser Konflikte bei Ausbruch des Weltkrieges und während dessen
weiteren Verlaufs zu analysieren. Nach Moll handelte es sich bei den Angriffen
1914 bis 1918 um eine wesentliche Vorbedingung des inneren Zerfalls der
Monarchie im Herbst des letzten Kriegsjahres und der Teilung der Steiermark.
Moll konnte in seiner Arbeit auf deutschsprachiges und slowenisches Material
zurückgreifen.
Zu Struktur, Aufbau und Methode
Der Autor gliederte seine Arbeit in fünfzehn Kapitel, das Einteilungsprinzip
ist sowohl chronologisch als auch aspektorientiert, woraus sich im Falle
dieser Arbeit einige Überschneidungen ergeben. Am Anfang steht ein
Kapitel zu Themenstellung, Forschungsstand und Quellenlage, gefolgt von
einem inhaltlichen Überblicksartikel zur Steiermark vor 1918, in
dem die demographischen Befunde diskutiert werden, die Frage der Verwaltungsgrenzen
und das Verhalten der ethnischen und politischen Lager. In diesem Zusammenhang
untersucht Moll auch die Wahlergebnisse und die Frage der politisch-ethnischen
Vormachtstellung. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung hatten in
den Volkszählungen als Umgangssprache Deutsch angegeben, die Untersteiermark
(slowenisch Spodnja S4tajerska) zwischen der unteren Mur und der oberen
Save war jedoch mit Ausnahme der Städte Marburg/Maribor, Cilli/Celje
und Pettau/Ptuj – in der deutschnationalen Diktion der Zeit als
»deutsches Festungsdreieck« bezeichnet – ganz überwiegend
von Slowenen besiedelt. Die deutschsprachigen Steirer hatten im Kronland
Steiermark eindeutig die politische und kulturelle Hegemonie inne, im
Laufe der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts nahmen die ethno-politischen
Auseinandersetzungen im gesamten Kronland jedoch an Schärfe zu, und
genau dies ist der Inhalt der beiden Kapitel Formierung des steirischen
Deutschnationalismus und Der Kampf der Slowenen um Gleichberechtigung,
die der Autor aneinander gereiht hat. Über die slowenischen Bemühungen
um Emanzipation, über die Ausprägungen des slowenischen Nationalismus,
panslawische Politik et cetera erfährt man allerdings deutlich weniger
als über den Deutschnationalismus. Im Zusammenhang der Nationalitätenauseinandersetzungen
in der Steiermark, wobei es auf slowenischer Seite auch eine panslawische
beziehungsweise südslawische Ausrichtung gab, die den Kontext der
Habsburgermonarchie verließ, kam den Ereignissen auf dem Balkan
eine große Bedeutung zu, also wurden in weiterer Folge Die Balkanwirren
seit 1908 und die Steiermark als auch Sarajewo und die Folgen thematisch
abgehandelt. Daran schließt ein mehr als 300 Seiten umfassender
Block mehrerer Kapitel (insgesamt sieben), die die Verfolgungen slowenischer
Opponenten oder vermeintlicher Opponenten zum Inhalt haben. Schließlich
folgen zwei weitere Kapitel zur Thematik des Ersten Weltkriegs, in den
weiteren Jahren nach 1914 (Das Nachbeben und Die Haltung der Slowenen
im Krieg), dann eine Zusammenfassung als Schlußkapitel, ein Quellen-
und Literaturverzeichnis sowie ein Abkürzungsverzeichnis.
Methodisch war bei der Arbeit das Aktenstudium in den Mittelpunkt gerückt
worden, der Autor untersuchte unzählige Archivalien, wertet diese
hinsichtlich der konkreten Verfolgungen im Jahre 1914 auch statistisch
aus. Statistik und Tabellen spielten auch eine Rolle im Zuge der Darstellung
der ethnisch-sprachlich-demographischen Gegebenheiten im Kronland Steiermark.
Im Mittelpunkt stand allerdings, wie gesagt, die Untersuchung von Aktenbeständen
und der mit den Ereignissen verbundenen Diskurse, Moll erhebt dabei nicht
den Anspruch, »das Denken und Handeln ›der‹ deutsch-
bzw. slowenischsprachigen Bevölkerung der Steiermark erschöpfend
rekonstruieren zu können.« Im Umgang mit seinen Quellen
solle sich der Historiker, so Moll, »bewusst sein, dass er nur Stückwerk
in Händen hält: Dort, wo Außergewöhnliches geschah,
wo gestritten und Beschwerde eingereicht wurde, wo der Machtapparat auf
den Bürger zugriff – überall dort entstanden schriftliche
Quellen. Das friedliche Nebeneinander, das es zweifellos auch gab, wurde
als nicht der schriftlichen Fixierung für würdig befunden.«
(27) Moll zielt in seinem Ansatz in weiterer Folge nicht darauf ab, zu
versuchen, historische Realitäten zu rekonstruieren (»objektive«
Realitäten), er konzentriert sich von vornherein auf die Wahrnehmung
der Lebenswirklichkeit durch die Zeitgenossen.
Moll orientierte sich an der bereits existierenden Weltkrieg I-Forschung
und übernimmt hinsichtlich der Methodik ein Postulat des Historikers
Oswald Überegger, der detaillierte Arbeiten zu Tirol verfaßt
hat: »Nur eine international ausgerichtete, theoretisch wie methodisch
reflexive Regionalgeschichte, die es vermag, nationale Strukturen, raumspezifische
Besonderheiten und anthropologische Aspekte synthetisch in die Darstellung
mit einzubauen, wird den künftigen Forschungsdesideraten einer nicht-konventionellen,
wissenschaftlichen Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges entsprechen können.«
Moll wählte also einen multiperspektivischen Zugang, der Rechts-,
Militär-, Sozial- und politische Geschichte sowie Alltags- und Mentalitätsgeschichte
vereinigt (15). Es komme dabei nur die Kombination verschiedener Zugänge
in Frage, weil nur so »eine potentielle Chance zur Verknüpfung
von Struktur und Handeln« eröffnet werde. Daraus ergebe
sich das Postulat einer breiten Streuung der Quellen, ein Postulat, das
Moll durchgängig einzuhalten versucht.
Die zentrale Quelle der vorliegenden Arbeit stellen die im Steiermärkischen
Landesarchiv aufbewahrten Bestände des Statthalterei-Präsidiums
dar. Dies liegt zum einen am Umfang und der weitgehenden Geschlossenheit
dieses Bestandes, zum anderen an der Funktion der Statthalterei, die als
Aufsichtsstelle für alle im Kronland bestehenden Behörden sowie
als Schnittstelle zwischen dem Land und dem Gesamtstaat fungierte. Diese
Akten beinhalten daher nicht allein ihre eigenen Dokumente beziehungsweise
jene ihrer Unterbehörden, sondern Korrespondenz mit sämtlichen
im Land präsenten staatlichen Einrichtungen. An zweiter Stelle des
von Moll verwendeten Aktenfundus stehen Gerichtsakten, das sind Akten
der zivilen Strafgerichte beziehungsweise der Militärgerichte, sodann
folgen die Akten der österreichischen Zentralbehörden, konkret
des Ministerratspräsidiums sowie des Innen- und des Kultusministeriums.
Moll folgte in seiner Arbeit deklarierterweise häufig den Spuren
von Gerald Stourzh, in dem Sinn, daß er sich nachhaltig vieler Quellen
juridischen Inhalts annahm. Das Nationalitätenproblem lasse sich
sehr gut anhand diverser Rechtsmaterien untersuchen. Um gerichtliche Akten
zu ergänzen und Einschätzungen der gesellschaftlichen Stimmung
zu geben, wurde auf Berichte steirischer Tageszeitungen zurückgegriffen.
Im Kontext der Verfolgungen während des Ersten Weltkriegs wertete
Moll auch Quellen der Diözesanarchive ebenso wie Akten der Gendarmerie
aus.
Die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Slowenen waren nach der
Wiedereröffnung der Reichsratssessionen Ende Mai 1917 Gegenstand
parlamentarischer Anfragen und Interpellationen seitens slowenischer Abgeordneter,
die in den gedruckten Sitzungsprotokollen des Hauses der Abgeordneten
sowie in den Anhang- und Beilagenbänden enthalten sind. Im Herbst
1917 wurden auf Anordnung des Kaisers zwei Untersuchungskommissionen eingesetzt,
welche die Verhaftungen von 1914 überprüfen und der Regierung
Material zur Beantwortung der Anfragen an die Hand geben sollten. Moll
konnte auch dieses Material verwenden, es ist in gedruckter Form zugänglich:
Die Kommissionen legten im Frühjahr 1918 zwei lange Abschlußberichte
vor. Die Berichte wurden zusammen mit weiteren Schriften vor einiger Zeit
in deutscher Sprache herausgegeben.
Thesen
Der Autor hat eine sehr quellenreiche Arbeit verfaßt, die aber auch
den Bereich der Thesenbildung nicht vernachlässigt. Im Gegenteil
– der Leser, die Leserin sind mit einer Fülle von Hypothesen
und Interpretationen konfrontiert, die Moll nicht nur im Kontext breit
angelegter Fragestellungen, sondern auch im Zusammenhang mit Fallbeispielen
angestellt hat. Man findet in der Arbeit Molls Dutzende kleinere oder
breiter angelegte Thesen. Um ein Beispiel zu geben, seien hier etwa die
Ausführungen zu den Anti-Wien-Tendenzen angeführt, die in der
Steiermark sehr deutlich ausgerichtet waren, gegen die Zentralbehörden,
teilweise sogar gegen das Kaiserhaus – bis dato wurde ein derartiger
Regionalismus erst der Zwischenkriegszeit zugeordnet. Moll ist durchaus
zuzustimmen, daß die Anti-Wien-Tendenzen von deutsch-steirischer
Seite ein wesentliches Element darstellen, um die Ereignisse 1900 bis
1918 richtig deuten zu können. Ein immer aggressiver formulierter
Deutschnationalismus konnte nur auf diese Weise bis 1918 teilweise zum
Mainstream werden.
Nach Moll war in der Steiermark das subjektive Empfinden einer Randlage
im größeren Kontext des deutschen Siedlungsgebietes in Europa
wirksam. In Graz verstand man sich angesichts der Siedlungsstruktur in
der Untersteiermark als »Außenposten des Deutschtums«,
man verstand die Stadt als Bollwerk gegen die slawische Welt. Das Spezifische
des Grazer Deutschnationalismus war, folgt man Moll, »gerade
nicht ein Radikalismus, der sich aus der realen Erfahrung einer nationalen
Gemengelage speiste, wie dies etwa in den Städten des (reichs)deutschen
Ostens, insbesondere in Westpreußen und der Provinz Posen […]
der Fall war. In Graz gab es keine nennenswerte slowenische oder sonstige
Minderheit und auch auf Landesebene war angesichts der Mehrheitsverhältnisse
und der dominierenden wirtschaftlichen Position der Deutschen deren Vorrangstellung
nicht ernsthaft in Frage gestellt […] Erklärungsbedürftig
bleibt, warum sich gerade die […] Murmetropole in die Rolle des
Bollwerks hineinsteigerte.« (84) Die Erhebung der Umgangssprache
im Jahre 1900 hat tatsächlich ergeben, daß 121662 Personen
mit deutscher Umgangssprache angegeben wurden, 1430 sprachen Slowenisch
und 581 eine sonstige Sprache. Sieht man sich demgegenüber die Heimatberechtigungsstatik
an, so scheinen hier mehr als 38000 (!) Personen auf, die aus der (mehrheitlich
slowenischsprachigen) Untersteiermark, aus Ungarn inklusive Kroatien,
Böhmen, Mähren, Krain, Görz, Istrien, Dalmatien heimatberechtigt
waren.2 Das Ergebnis der Volkzählungen ist eben bereits als Teil
der Machtverhältnisse in den einzelnen Landesteilen zu interpretieren,
es ist ein Resultat der Nationalitätenauseinandersetzungen. Den politischen
und gesellschaftlichen Eliten in Graz war die Tatsache der Migration von
rund 40000 Menschen aus mehrheitlich nicht-deutschsprachigen Regionen
selbstverständlich bekannt. Nicht nur durch diesen Faktor, aber unzweifelhaft
auch dadurch wurde Graz zu einer Stadt, die doch auf einer anderen Ebene
anzusiedeln ist als etwa die Städte Linz, Salzburg oder Krems, die
tatsächlich als ethnisch weitgehend homogen anzusprechen sind.
Moll hat also viele hypothesenartige Formulierungen in seiner Arbeit angebracht,
manche in Kurzform und eher nebenbei formuliert, als Beispiel sei etwa
die folgende ohne Beleg versehene Bemerkung des Autors genannt: »Typisch
für die Grüne Mark war jedenfalls nicht die nur punktuell praktizierte
Umgarnung der Slowenen, wie sie in Kärnten unter dem Slogan ›Wir
sind alle Kärntner‹ betrieben wurde, sondern die strenge Separierung
aller Lebensbereiche in eine deutsche und eine slowenische Sphäre.
Das Motto lautete: ›Jeder zu den Seinen!‹ Schüchterne
Appelle an das gemeinsame Landesbewusstsein hatten keine Chance, Gehör
zu finden.« (722) Zum einen scheint die Existenz der S4tajerc-Bewegung,
mit der sich Moll jedoch sehr nachhaltig auseinandergesetzt hat, dem raschen
und eindeutigen Befund doch etwas zu widersprechen, zum anderen stellt
Moll keinen fundierten und systematischen Vergleich der beiden Kronländer
an.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, eine Reihe weiterer Hypothesen
anzudiskutieren. Die zentrale These Molls sei hier jedoch etwas ausführlicher
dargestellt: Laut Moll waren die Ereignisse des Sommers 1914, waren die
Verfolgungsmaßnahmen und Denunziationen gegenüber slowenischen
Mitbürgern für die weitere Geschichte der Steiermark beziehungsweise
der Untersteiermark von entscheidender Bedeutung, die Jahre 1900 bis 1914
werden als »Vorgeschichte« angesehen. Die steirischen Slowenen
seien damals in doppelter Weise zum Opfer geworden: »Als Betroffene
einer einzigartigen Verfolgungswelle und als von einer manipulierten öffentlichen
Meinung Irregeleitete, die sich vielfach im guten Glauben an harten Maßnahmen
gegen ihre Konationalen beteiligten. Die bald folgende Aufdeckung dieser
Irreführung trug im Sinne einer Gegenbewegung zu(r) Geschlossenheit
unter den Slowenen bei […] Die Verarbeitung jener Erfahrungen, welche
die Slowenen mit der steirischen Spielart des ›Burgfriedens‹
gemacht hatten3, wird künftighin bei der Beurteilung ihrer Abwendung
von der Monarchie und damit bei der Bewertung des Verlustes der Untersteiermark
1919 stärker als bisher zu berücksichtigen sein. Im Ergebnis
war das Auseinanderdriften der beiden Volksgruppen […], die Herausbildung
eines von Feindschaft und Hass geprägten Klimas hausgemacht. Bei
voller Würdigung der Vorgeschichte […] muss man – ob
mit Bedauern oder nicht – konstatieren: Die 1919 gezogene Grenze
war eine ›made in Styria‹.« (602)
Kritische Anmerkungen
Martin Moll hat eine beeindruckende Arbeit vorgelegt, er folgte in dem
Werk seinen konzeptionellen Überlegungen, den formulierten Postulaten,
die Quellenkenntnis des Autors ist mehr als bestechend. Moll hat mit seinem
Manuskript enorme Sachkenntnis bewiesen und sich jahrelang mit der Problematik
auseinandergesetzt. Daher möchte ich mögliche Einwände
auch betont vorsichtig formulieren; es kann sein, daß ich damit
auch wirklich falsch liege.
Die Habilitationsschrift Molls ist insgesamt sehr umfangreich geraten,
es stellt sich aber die Frage, ob die Arbeit nicht dadurch gewonnen hätte,
indem manche Bereiche stärker, andere weniger ausführlich akzentuiert
worden wären. Kapitel 11 und Kapitel 12 beispielsweise, beide betreffend
die Verfolgungen slowenischer Aktivisten während des Ersten Weltkriegs
sind dermaßen detailreich ausgefallen, daß dies – mit
Verlaub – doch geradezu an »Faktenhuberei« grenzt. Die
Fälle Knaflic4, Brumen und Weixl werden schon sehr, sehr ausführlich
dargestellt. Demgegenüber ist der wichtige Bereich »Identität«
in der Arbeit doch sehr schwach ausgeleuchtet worden. Gewiß, »Identität«
oder »Assimilation« im Kontext der Habsburgermonarchie ist
ein Thema, das bereits dutzendfach behandelt wurde. Dennoch stellt sich
das Thema auch im Kontext der Steiermark beziehungsweise Untersteiermark.
Moll ist sich der Problematik bewußt, wenn er etwa besonders apostrophiert,
daß von »der« deutschen Bevölkerung in der Steiermark
die Rede ist. »Die« deutsche Bevölkerung als monolithischer
Block existierte natürlich nicht, ebenso wenig wie »die«
slowenische Bevölkerung. Mehr noch, ein Vergleich der Volkszählungsergebnisse
auf dem Gebiet der Untersteiermark von 1910 und 1921 unter unterschiedlichen
gesamtstaatlichen Bedingungen zeigt, daß ein erheblicher Teil der
Bevölkerung doppelsprachig gewesen sein muß oder zumindest
über jeweils erhebliche sprachliche Kenntnisse verfügt haben
muß. Auch das ist nichts Neues, ebenso wie das Faktum, daß
neben dem zunehmenden Nationalismus auch eine weitere Komponente, jene
der situativen Identität, existierte, das Phänomen der »in
between people«, des »side switching«, wie Pieter Judson,
der Mitherausgeber des Bandes Constructing Nationalities in East Central
Europe formulierte. Jerry King sprach in seiner Studie über die Einwohner
von Budweis von einer »amphibischen« (amphibious) Identität.
Dieser Aspekt hätte stärker in die Arbeit integriert werden
sollen, ebenso wie die Thematik »Gender«. Pieter Judson hat
auch in diesem Zusammenhang, in seinem bereits etwas älteren Aufsatz
über »Deutschnationale Politik und Geschlecht in Österreich
1880–1900« gezeigt, in welcher Form man sich der Thematik
annähern kann, und er führte auch Beispiele aus der Steiermark
an. Moll hat diesen Aspekt im wesentlich außen vor gelassen, ihn
nur ab zu einfließen lassen – etwa wenn er die Abschaffung
des Duells als Erklärungsfaktor der unwahrscheinlich verbissenen
juridischen Auseinandersetzungen zwischen Politikern unterschiedlicher
ethnischer beziehungsweise politischer Lager interpretiert. Der Aspekt
wurde in der Arbeit nicht hinreichend berücksichtigt, der interessante
Zusammenhang mit dem Duell nicht weiter verfolgt, der männliche Ehrbegriff
nicht weiter hinterfragt.
Sieht man sich auf einer chronologischen Schiene die Schwerpunktsetzung
in der vorliegenden Arbeit genauer an, so wird deutlich, daß das
Hauptgewicht deutlich auf dem Jahr 1914 liegt. Das Jahr 1918 wird demgegenüber
schwach abgedeckt. Zweifach formulierte Moll in Thesenform, daß
man mit der »Vorgeschichte« und den Verfolgungen von 1914
im wesentlichen die Grenzziehung quer durch die Steiermark von 1919 erklären
könne. Die endgültigen Grenzen wurden erst 1920 – mit
der Räumung von Radkersburg im Juli durch SHS-Truppen – hergestellt,
ist dem hinzuzufügen. Müßte man nicht zumindest die Ereignisse
von 1918 und 1919 ein wenig genauer ansehen, um die These aufzustellen,
die Teilung der Steiermark sei ausschließlich »made in Styria«?
Der letzte Satz von Molls Habilitationsschrift klingt sehr griffig, ist
er deswegen zutreffend? Mischt sich da kein bißchen »made
in Paris beziehungsweise St. Germain«, kein »made in Ljubljana«
oder »made in Belgrade« hinzu? Kann man diese These, die sich
ja konkret auf die Grenzziehung 1919 bezieht, überhaupt aufstellen,
wenn man die Jahre 1918 kaum und 1919 nicht in Betracht zieht?
Der aggressive steirische Deutschnationalismus, die Slawenfeindlichkeit
des Vereins »Südmark«, den schon Adolf Hitler in Mein
Kampf positiv erwähnte und der seit 1889 in verhetzender Weise agierte,
all dies spielte gewiß eine Rolle. Massiven Deutschnationalismus
fand man aber auch in Kärnten vor, warum verlief die Geschichte in
Südkärnten anders als in der Untersteiermark? In Südkärnten
wurde eine Volksabstimmung abgehalten, bei der sich auch die nicht rein
deutschsprachige Bevölkerung für eine staatliche Anbindung an
Österreich aussprach. In der Untersteiermark, etwa im Raum Maribor/Marburg
wurde etwa keine Volksabstimmung abgehalten, ebenso wenig in Ptuj/Pettau
oder Cilli/Celje. Wie eine Bevölkerung mit »amphibischer«
Beschaffenheit entscheidet, wie sie handelt, kann nicht mit Sicherheit
vorhergesagt werden. Daß in Maribor/Marburg Selbstbestimmung keine
Rolle spielte, war in erster Linie wohl nicht »made in Styria«
– oder wenn doch, so in anderer Form, als dies Martin Moll im Sinn
hatte. Der Major der k. k. Armee Rudolf Maister, der bis Oktober 1918
loyal zur Habsburgermonarchie stand, besetzte Marburg/Maribor sowie die
gesamte Untersteiermark für den im Entstehen begriffenen SHS-Staat
im November 1918. Als am 27. Jänner 1919 eine US-Delegation unter
Colonel Sherman Miles in die Stadt an der Drau reiste, um sich ein Bild
von der ethnischen Situation zu machen, ließ Maister seine (rein
slowenischen?) Soldaten in eine Menge von rund 10000 Demonstranten schießen,
die sich versammelt hatten, um die US-Delegation darauf aufmerksam zu
machen, daß sie nicht Teil des SHS-Staates (Königreich der
Serben, Kroaten und Slowenen) werden wollten. Mit Schüssen löst
man eine Demonstration auf, Colonel Sherman bekam diese Willenskundgebung
nicht zu sehen, letztlich zählte man dreizehn tote und sechzig verletzte
Demonstranten. Maister ließ auch Radkersburg, Spielfeld und Mureck
besetzen. Die demokratische Republik Deutschösterreich reklamierte
Marburg als Teil der Steiermark für sich, der sozialdemokratische
Kanzler ebenso wie das von Otto Bauer geführte Außenamt protestierten
gegen die Schüsse in Marburg. Zusammen mit serbischen Verbänden
besetzte Maister schließlich im Juni 1919 Klagenfurt. Maister ist
eine interessante Figur, mit teilweise deutschsprachigem Familienhintergrund,
k. k. Offizier, treu in den Diensten seiner Majestät während
des Ersten Weltkriegs entwickelte er sich, unterstützt von Soldaten
aus Ljubljana und aus Serbien zum slowenischen Nationalhelden –
aber sind diese Vorgänge rund um die Grenzziehung wirklich ganz klar
»made in Styria« (oder »Carinthia« ), wenn man
so will? Eine gewagte These.
Anmerkungen
1. Martin Moll, Kein Burgfrieden. Der deutsch-slowenische Nationalitätenkonflikt
in der Steiermark 1900–1918, Innsbruck/Wien (StudienVerlag)
2007.
2. Österreichische Statistik, Band 63, Band 2, Heft 2, Wien
1903, 59.
3. Hier: (informelles oder formelles) Stillhalteabkommen während
des Ersten Weltkriegs.