Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn man als Rezensent betonen muß,
daß man irgendetwas oder irgendjemanden, von dem im zu besprechenden
Buch die Rede ist, ja eigentlich selbst auch nicht mag. Ich z.B. mag Waggerl
ja auch nicht.
Daß die Notwendigkeit einer solchen Versicherung besteht, ist deshalb
bedenklich, weil sie nur einen Grund hat: Ich möchte nicht in den
Verdacht eines Apologeten bestimmter Autoren kommen, nur weil ich Karl
Müller für seine Habilitationsschrift1 kritisiere,
die hauptsächlich aus einer Entrüstung über Schriftsteller
wie Waggerl oder Weinheber besteht und deren Druckfassung der Otto Müller-Verlag
(immer bestrebt, die Autoren, mit denen er am meisten verdient, auch theoretisch
aufzuarbeiten) herausgebracht hat.
Die Entrüstung dürfte in der Lese- und Forschungsgeschichte
des Autors begründet sein, die er eingangs unter dem Titel "Forschungsmotivation"
dem Leser bekanntgibt. Ich möchte diesen Ausführungen meine
ebenso belanglosen eigenen Erfahrungen gegenüberstellen: So wie im
Haus Müller standen auch bei mir zu Hause Mein Kampf und
die Werke Waggerls im Regal, auch "Wildgänse rauschen durch die
Nacht" habe ich in meiner Jugend gesungen (zum Unterschied von Müller
kam mir dieses Lied beim Bundesheer nicht unter, weil ich nicht beim Militär
war). Anders als Müller habe ich Mein Kampf nicht gelesen,
und Waggerl war nicht meine wichtigste literarische Jugenderfahrung -
ich habe ihn wenig gelesen, weil er mich fadisiert hat. Ich trete daher
Waggerl ziemlich unvoreingenommen gegenüber, und wenn ich doch ein
Vorurteil gegen ihn habe, dann eher in der Art des von Müller zitierten
Kommentars von Friedrich Torberg - "ein Schahs, auf zierlichster Piccoloflöte
geblasen" (S. 146).
Der Vorteil, der sich daraus für mich ergibt, besteht darin, daß
ich keine offenen Rechnungen mit Waggerl zu begleichen habe, weil er mich
nie enttäuscht hat.
Möglicherweise ist dieser Unterschied zu Müller generationsbedingt
- anderthalb Jahrzehnte sind in der Nachkriegszeit schon eine ordentliche
Zeitspanne. Noch wahrscheinlicher ist ein weiterer Unterschied auf das
Alter zurückzuführen: Waggerl hat Müller ja nicht nur enttäuscht,
er hat es noch dazu auf eine besonders ungute Art getan - er war ein Nazimitläufer.
Ich rege mich in solchen Fällen - anders als Müller - nicht
auf. Ich kann entdecken, daß sich jemand mit dem Nationalsozialismus
arrangiert hat, ohne daß ich mich empöre. Nicht daß ich
ein Arrangement mit dem Nationalsozialismus für besonders honorig
oder sympathisch hielte (obwohl es in manchen Fällen aus der Lebenssituation
der betreffenden Personen völlig verständlich ist) - der Gesichtspunkt
der Verurteilung oder Exkulpation selbst ist es, der mich nicht interessiert.
Wenn sich ein Zeitgeschichtler zuerst einmal über jeden Nazi aufregen
muß, der ihm unterkommt, wird er wahrscheinlich zu nichts anderem
kommen. Dann geht es ihm wie Müller.
Es ist an sich natürlich erlaubt, im Zug der Erforschung der Zeitgeschichte
moralische Tiraden abzulassen, auch wenn nicht recht einsichtig ist, wozu
sie gut sein sollen; denn die Ablehnung des Nationalsozialismus ist so
allgemein, daß eine "Reeducation" nicht mehr notwendig ist, und
ein guter Teil der besprochenen Schriftsteller wurde ja bereits von Vorgängern
Müllers entlarvt.
Wirklich problematisch wird so etwas aber erst, wenn die moralische Qualifikation
historischer Persönlichkeiten und Ereignisse dazu führt, daß
wichtige Gesichtspunkte für die Erklärung des historischen Geschehens
außer acht gelassen werden. Dies ist auch der erste Einwand gegen
die Arbeit Karl Müllers: Der Autor schiebt Fragestellungen, die für
die Bearbeitung seines Gegenstandes recht ergiebig sein könnten,
nur deshalb beiseite, weil sie ihm für sein moralisches Anliegen
nicht interessant genug sind.
Das betrifft etwa die Modernisierung in der NS-Zeit, über die Müller
lieber gar nicht reden möchte; in Anlehnung an den ebenfalls mehr
moralistischen als analytischen Gert Kerschbaumer: "das Sprechen von
den 'Leistungen der Modernisierung' hinsichtlich der NS-Herrschaft birgt
nämlich die Gefahr in sich, daß aufgrund der Positiv-Konnotationen
des Begriffes 'modern' der oben beschriebene Umwandlungsprozeß
mit einem Ehrenzeichen versehen wird" (S. 47).
Es wird also der Begriff der Modernisierung nur normativ verstanden
(ähnlich wie der Resistenz-Begriff S. 49; dazu auch die
offenbar zustimmend zitierte Stelle aus R. Grimm in Fn. 2) und daher abgelehnt,
weil er unter diesem Aspekt ja nicht die gewünschten Ergebnisse liefert.
Wichtiger als das sind mir aber die Einwände gegen die begrifflich-theoretischen
Passagen oder auch nur implizit gegebenen theoretischen Annahmen und gegen
die methodischen Vorgangsweisen des Autors.
GENERELLE EINORDNUNGEN, BEGRIFFE
Bei der allgemeinen Charakterisierung von historischen Zusammenhängen
fällt auf, daß Müller sehr selektiv arbeitet und große
Teile der einschlägigen geschichtswissenschaftlichen Diskussion ausblendet.
Dies zeigt sich etwa bei der Kurzcharakterisierung des Nationalsozialismus
als Koalition aus Bildungsbürgern, Kleinbürgern und dem Besitzbürgertum,
"insbesondere den Industrie-Interessen" (S. 45). Letztere werden
- Dimitroff läßt grüßen - noch weiter bemüht:
"Den Nationalsozialismus wird man - dies ist ein in der geschichtswissenschaftlichen
und faschismustheoretischen Forschung ausgeprägtes Verständnis
- betrachten können als die durch die Weltwirtschaftskrise Ende der
20er Jahre zusätzlich angetriebene und auch von den einflußreichsten
kapitalistischen Kräften als Chance unterstützte Form, die immanenten
kapitalistischen Verwertungsprobleme möglichst erfolgreich, im Sinne
insbesondere des Industrie-Kapitals, zu mindern, vielleicht zu lösen"
(S. 45). Diese Auffassung von der Rolle der Industrie (von der Hervorhebung
des Wörtchens "ein" abgesehen, nicht weiter relativiert), wird noch
um die "sozialpsychologischen Dispositionen der Menschen" ergänzt,
die die Wirksamkeit des Bündnisses von Rassisten und Kapitalisten
sicherten.
Sicherlich wird man nicht verlangen, daß im Rahmen einer solchen
Untersuchung auf einer Seite ein substanzieller Beitrag zur Rolle der
Industrie bei der Etablierung der NS-Herrschaft geliefert wird, also zu
einem Thema, das Gegenstand einer umfangreichen historiographischen Debatte
ist (deren Rezeption durch Müller, so sie erfolgt sein sollte, zumindest
keinen Niederschlag im Literaturverzeichnis gefunden hat). Es ist nur
unerfindlich, warum das Thema überhaupt in dieser insuffizienten
Form angeschnitten wird, insbesondere wenn es in der Folge gar keine Rolle
mehr spielt. So kann man diesen Abschnitt getrost als reine Propaganda
vergessen.
Ähnlich die Verwendung des Begriffs Austrofaschismus, bei
dem sich Müller gar nicht mehr um eine inhaltliche Bestimmung bemüht
- dafür wird die Bezeichnung großzügig an historische
Protagonisten vergeben. So wird etwa der in erster Linie katholische Rudolf
Henz zwischendurch locker als "Austrofaschist" geführt (S. 230).
(Nebenbei sei bemerkt, daß die Phraseologie z.T. nur mehr archaisch
wirkt. So wird z.B. zu den Ausführungen Ernst Hanischs, der den Erfolg
Waggerls aus den Alltagserfahrungen der potentiellen Leser und daraus
resultierenden Bedürfnissen nach "Verschönerung" und
"Trost" erklärt, lediglich folgendes angemerkt: "Welche
Inhalte konkret 'verschönt' wurden und welch objektiv-ideologische
Funktion diese Literatur dennoch besaß, wird durch diese Fassung
des Begriffs 'Volkstümlichkeit' nicht beantwortet"; S. 143,
Fn. 1).
Neben diesen Randerscheinungen, die die wesentlichen Teile der Arbeit
nicht betreffen, werden auch wichtige Begriffe in einer Weise eingeführt
und verwendet, daß das Ergebnis von vornherein der Kritik entzogen
ist: Sofern Definitionen gebracht werden, sind diese schwammig und teilweise
wieder mit normativen Begriffen durchsetzt, sodaß die Verwendung
in der Arbeit letztlich dem Gusto des Autors überlassen ist.
Ein Musterbeispiel dafür ist der zentrale Begriff der "Antimoderne".
Müller: "Wenn man dabei Moderne als das Ergebnis jener sprachlich-ästhetischen
Arbeit versteht, die der Sprache, ihren tradierten Verwendungsweisen und
literarischen Verfestigungen partiell neue Bedeutungen abtrotzt, also
auf eine tendenzielle Umstrukturierung des sprachlich-literarischen Feldes
ausgerichtet ist, und zwar nicht, wie das die faschistischen 'Sprach-Transformationierer'
(...) taten, um das Individuum in dem schon bestehenden 'Gefängnis
der Bedeutungen' noch stärker einzusperren, d.h. das Individuum mit
Hilfe der oben genannten Ideologeme auf eine faschistische Identität
- erziehungsdiktatorisch - zu verpflichten, sondern es aus ihnen mit Hilfe
der Literatur zu entkoppeln, dann leistet dies jene Bewegung, die ich
'Antimoderne' nenne, eben in keiner Weise. Die Antimoderne ist die Stilisierung
des Epigonalen, Herkömmlichen als 'modern', und zwar durch die damaligen
Ideologen (Schriftsteller, Literaturhistoriker, Kulturpolitiker) selbst"
(S. 44).
Mit den zitierten "Ideologemen" dürfte sich Müller auf die
Liste auf der vorherigen Seite beziehen: "Diese können benannt
werden als deutsch-völkisch-antisemitisch, konservativ-nationalistisch,
zivilisationsfeindlich und vitalistisch-sozialdarwinistisch, sozialrevolutionär
und antikapitalistisch, antimaterialistisch und antimarxistisch, 'affektgeladen
antidemokratisch', antirepublikanisch, antiliberal und antiindividualistisch,
aber persönlichkeitsverherrlichend - also: anti- und gegenaufklärerisch"
(S. 43). In formaler Hinsicht wird offenbar der Klassizismus als
"antimodern" verstanden, soweit das aus den gebrachten Zitaten erschlossen
werden kann (z.B. S. 43, Fn. 2; ähnlich das Schwerte-Zitat, S. 10).
Die "Moderne" soll also das "sprachlich-literarische Feld" in Form der
"Abtrotzung" neuer Bedeutungen umstrukturieren, die "Antimoderne" tut
das nicht. Irgendwo dazwischen oder daneben stehen die Faschisten, die
zwar das "sprachlich-literarische Feld" umstrukturieren, dies jedoch,
um das Individuum auf eine faschistische Identität zu verpflichten.
Bei diesem Definitionsbrei bleiben mehrere Fragen unberücksichtigt:
Was versteht der Autor unter dem "sprachlich-literarischen Feld" und
unter "neuen Bedeutungen"? Kommen unterschiedslos alle möglichen
sprachlichen Bedeutungsebenen und alle möglichen literarischen Äußerungformen
als Objekte der "Umstrukturierung" in Frage? Wie werden Werke eingeordnet,
die in der einen Hinsicht (z.B. formal) keinen herkömmlichen Mustern
folgen, in der anderen (z.B. semantisch) sich irgendeinem von Müllers
"Ideologemen" verpflichten? Wie ist das Verhältnis von "antimodernen"
Epigonen zu "faschistischen Umstrukturierern" zu sehen? Welche Rolle spielen
in diesen Zusammenhängen (und in der Wechselwirkung mit den anderen
Bedeutungsebenen!) die Bedingungen, unter denen die Autoren schreiben,
und die Art der Rezeption ihrer Werke? Ändert sich der "moderne"
oder "antimoderne" Charakter eines Werkes je nach dem Kontext, in dem
geschrieben, gelesen und rezensiert wird?
Diese Fragen werden in der Arbeit nicht ausdrücklich thematisiert,
gewisse Schlüsse können allerdings aus der Behandlung konkreter
Sachverhalte gezogen werden. Dabei zeigt sich, daß der "Antimoderne"-Begriff
Müllers, soweit er überhaupt konsistent ist, in der Praxis wenig
hergibt. Am besten läßt sich das an Beispielen darlegen, wobei
ich mich zuerst wieder Müllers Jugendliebe, nämlich Karl Heinrich
Waggerl, zuwende.
EIN SCHRIFTSTELLER
Waggerl ist laut Müller ein "antimoderner" Autor. Bei der Behandlung
dieses Schriftstellers wird besonderes Augenmerk auf seine Stellung in
den Zeiten wechselnder politischer Verhältnisse gelegt. Dabei kommt
heraus, daß Waggerl in den 30er Jahren bereits ein anerkannter Schriftsteller
war, daß sich seine Beliebtheit in der Nazizeit noch steigerte,
um in der Nachkriegszeit ihren Höhepunkt zu erreichen. Diese Beliebtheit
wird anhand von Auflagenzahlen, Vorkommen in Sammelwerken, öffentlichen
Auftritten und dgl. festgestellt.
Ein weiteres Thema ist die persönliche Nähe Waggerls zum Nationalsozialismus.
Waggerl war, wie es scheint, kein rabiater Nazi. Er selbst hat eine NSDAP-Mitgliedschaft
geleugnet, und das Gegenteil kann bisher nur vermutet und nicht bewiesen
werden. 1940/41 war Waggerl für ein dreiviertel Jahr Bürgermeister
von Wagrain. Laut Karl Müller gibt es in den belletristischen Texten
Waggerls keine offene politische Parteinahme für den Nationalsozialismus.
Es soll sogar zu ein paar "defaitistischen" Äußerungen
während des Krieges gekommen sein (S. 86).
Aber natürlich war Waggerl keineswegs ein Nazigegner - er war, wie
sich bei seiner Nachkriegs-Kontroverse mit dem tatsächlich ziemlich
üblen Karl Springenschmid zeigte, so gut wie gar nicht resistent
gegen den Nationalsozialismus (S. 93-94). In der Diktion des sicher der
Weißwäscherei nicht verdächtigen Viktor Matejka: Ein Nazikollaborateur
(S. 95). (Es sei angemerkt, daß auch Müller sehr wohl zwischen
"Salonnazis" - so die NS-Diktion - (S. 243, Fn. 1) und anderen
Nazis differenzieren kann).
Was hat das alles für unsere Frage nach dem "antimodernen" Charakter
seiner Werke zu besagen?
EIN WERK
Es sei auch dafür ein Beispiel herangezogen, und zwar der Roman
Brot (1930), den wohl auch Müller als Musterbeispiel für
Waggerls "antimoderne" Schreibweise ab 1930 betrachtet und den ich - ich
gestehe es - erst für die Zwecke dieser Rezension gelesen habe. Nach
der Beschreibung Müllers erwartete ich Schlimmes:
"der Roman verherrlicht das Ideal einer archaischen, geschichtlicher
und somit sozialer, ökonomischer und politischer Entwicklung entzogenen
und deswegen als 'natürlich' und 'ewig' ausgegebenen Lebensform,
die sich in der Autarkie bäuerlichen Arbeitens und Lebens verwirklicht.
'Natürliches' Einverständnis mit diesem Leben wird konsequenterweise
als erstrebenswert, ja als biologisch grundierte, gesunde 'Natürlichkeit'
verherrlicht, jede Abweichung davon als Schuld, blutsmäßige
Dekadenz und schädliche Abirrung verurteilt. (...) Hinter dem Bereich
des 'natürlichen', stadtfernen, bäuerlich-patriarchalischen
Lebens scheint die Welt der städtischen, kapitalistisch orientierten,
unüberschaubar-pluralistischen, von Klassengegensätzen vergifteten
Zivilisation auf. Hinter der 'natürlichen', nicht-entfremdeten, auf
eigenem Grund und Boden und am eigenen Hof verrichteten, sinnvollen Arbeit
des ein 'göttliches Naturgesetz' vollziehenden, nicht-intellektuellen,
vitalen Bauern und Landnehmers (...) steht die arbeitsteilige, sinnentleerte
Arbeit des vitalschwachen, 'entwurzelten', weil besitzlosen Nicht-Bauern"
(S. 71).
"Was das auf den ersten Blick normsprengende Verhältnis des
Erzählers zur Sexualität betrifft, so wird dieses jedoch insofern
als scheinemanzipatorisch erkennbar, als die Frau die bloße Magd
des Bauern bleibt und der Erzähler ausschließlich die autoritär-patriarchalische
Familie propagiert" (S. 72).
Tatsächlich ist der Roman - der gewiß nicht unter den Büchern
wäre, die ich mir auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde
- harmloser: So kann keine Rede davon sein, daß die in Brot
beschriebene Lebensform der sozialen etc. Entwicklung entzogen wäre
und daß in dem Roman ein "autarkes" Bauerntum propagiert
würde: Der Bauer, der hier Hauptfigur ist, ist sehr wohl auf die
ökonomischen Verbindungen mit der Außenwelt, nämlich mit
den Gewerbetreibenden im Dorf, angewiesen; er muß sich sogar Saatgut
aus Übersee (!) kommen lassen, um trotz ungünstiger klimatischer
Verhältnisse Bodenerträge erwirtschaften zu können, und
besondere Mühlsteine, um dieses harte Getreide mahlen zu können;
bei seinen technischen Konstruktionen läßt er sich von einem
Ingenieur beraten. Auch mit der Zivilisationsfeindlichkeit ist es nicht
so weit her, bedenkt man, daß die Elektrifizierung des Hofes ein
erstrebenswertes Ziel darstellt, das schließlich auch erreicht wird.
Die "biologische Grundierung" spielt in dem Roman keine Rolle,
Kapitalismus und Klassengegensätze ebenfalls nicht. Die Gegenfigur
zum Bauern und Landnehmer ist nicht der besitzlose Nicht-Bauer, sondern
der äußerst wohlhabende Müller, der ein weit größerer
Grundbesitzer ist als die Hauptfigur und der schließlich bankrott
geht. Was die Rollenverteilung in der bäuerlichen Familie betrifft,
ist es richtig, daß etwa in der Arbeitsorganisation traditionelle
Muster bestehen bleiben, doch ist die Ehefrau des Bauern sicher nicht
"Magd" im Sinn einer bloßen Befehlsempfängerin oder dgl.
ANTIMODERNE?
Auf welcher Ebene wird nun der "antimoderne" Charakter Waggerls bzw.
seiner Werke deutlich? Was die formale Seite betrifft, ist allgemein bekannt,
daß Waggerl hier nicht zu Experimenten neigte; andererseits ist
dies kaum das ausschlaggebende Kriterium für die Müllersche
Kategorisierung, da es ja zahllose Autoren gibt, die an überkommenen
Formen festhielten, von Müller aber dennoch nicht als "antimodern"
eingestuft werden.
Wichtig scheint für Müller die semantische Seite zu sein. Allerdings
sind seine semantischen Befunde, wie ausgeführt, eher zweifelhaft.
Es spielen auch die oben angeführten "Ideologeme" keine auffallende
Rolle: Brot ist weder (deutsch)national noch antisemitisch, wie
dargelegt auch nicht zivilisationsfeindlich, schon gar nicht antiindividualistisch;
Demokratie, Republik und Klassenkampf sind kein Thema.
Daß es sich in semantischer Hinsicht um eine recht unspezifische
"Antimoderne" handeln muß, zeigt sich auch in der Rezeption: Die
Arbeiterzeitung z.B. rezensierte Brot positiv und wies
u.a. auf die Darstellung "unentfremdeter Arbeit" in dem Roman
hin (S. 82). Auch auf katholischer Seite kam Brot gut an. Offenbar
kann der Roman sehr unterschiedlich gelesen und verstanden werden.
Dies kann verallgemeinert werden: "Antimoderne" Werke im Verständnis
Müllers können in formaler und semantischer Hinsicht durchaus
mehrdeutig sein (wenn es natürlich auch Werke gibt, die mit den Müllerschen
"Ideologemen" reichhaltig ausgestattet sind) und können vielfach
daher auf ganz verschiedene Weise rezipiert werden.
Nach meinem Eindruck siedelt Müller jedoch trotz dieser vielfältigen
Rezeption die "Antimoderne" in erster Linie im pragmatischen Bereich an.
Ein Hauptgesichtspunkt für die entsprechende Einordnung ist im Fall
Waggerls die Feststellung der "Verwertbarkeit und konkreten Verwendung
Waggerlscher Dichtungen durch die NS-Kulturpolitik" (S. 81) und der
"Brauchbarkeit seiner Dichtung in einem totalitären System"
(S. 91).
Ähnlich wird bei anderen Schriftstellern verfahren: "Schreyvogls
Argumentation, 'über dieses Buch von Wien (falle) auch nicht ein
Schatten des Nationalsozialismus', stimmt nur unter der Annahme, daß
sich das 'Nationalsozialistische' eines Werkes an der Quantität der
verwendeten 'nationalsozialistischen' Begriffe und/oder des 'nationalsozialistischen'
Stoffes messen ließe. Das konnte auch Schreyvogl nicht meinen. Es
widerspricht auch diametral dem, was die nationalsozialistische Literaturpolitik
insbesondere während des Krieges von der Kunst forderte, nämlich
Ablenkung, Erholung, Entspannung, Abenteuer, Trost" (S. 216-217).
Und zu Schreyvogls Schicksalssymphonie meint der Autor: "Wenn
der Roman wegen seiner verklärenden Schilderung Wiens zur Jahrhundertwende
auch während des Krieges die Funktion erfüllt haben mochte,
österreich-verbundenen Lesern einen bestimmten Rückhalt oder
Fluchtraum in der Vergangenheit der alten Monarchie zu gewähren,
so ist er ungeachtet dessen gleichzeitig geeignet, den Leserbedürfnissen
nach ablenkender Unterhaltung und der NS-Strategie zu deren Förderung
zu entsprechen" (S. 216).
Es stellt sich indessen die Frage, was "Verwertbarkeit" eines Textes
in einem bestimmten (politischen) Umfeld aussagt. Sagt es etwas über
den Text als formal-semantisches Gebilde aus? Kaum oder nur sehr wenig
- das Beispiel der Rezeption von Literatur (oder von Kunst oder Musik)
im Nationalsozialismus zeigt, daß hier unterschiedlichste Dinge
verwertet wurde. Zum Beispiel wurden Klassiker gern herangezogen. "Verwertung"
im Sinn Müllers bedeutet außerdem nicht nur, daß eine
pathetische Beethoven-Symphonie in die Wirkungsästhetik des Regimes
integriert wurde: "Verwerten" konnte man auch eine Rossini-Ouverture oder
einen Lanner-Walzer, weil diese "Erholung" boten. Und "Erholung" bot sehr
vieles. Daher dürfte für Müller ein zweiter Gesichtspunkt
bedeutsam sein: Der Autor muß selbst eine gewisse Nähe zum
Nationalsozialismus erkennen lassen, und äußere sie sich auch
nur in mangelnder Resistenz.
Augenfällig wird die Unsinnigkeit dieses Ansatzes bei der Besprechung
von Max Mell. 1951 brachte Mell sein Drama Kriemhilds Rache heraus,
das als Fortsetzung von Der Nibelunge Not aus dem Jahr 1944 anzusehen
war. Bereits in der Kritik des Jahres 1951 klang das "Verwertungs"-Motiv
an: "Für E. Lanzer (Pseud.) lag der Skandal der Aufführung
des zweiten Teils eines Stückes, dessen erster Teil in einem nationalsozialistischen
Preisausschreiben preisgekrönt worden sei (Fn.), darin, daß
es zu jenem Literaturkreis zähle, in dem 'bestimmte Tendenzen der
deutschen Literatur von den Nazi leicht zu ihrem Nutzen ausgewertet werden
konnten'" (S. 310).
Auch Müller hat Einwände gegen Der Nibelunge Not:
"Bei dem 1944 uraufgeführten Nibelungen-Drama konnte man zwar
von offen nazistischer Propaganda nicht reden. Es hatte 'mit den Vorstellungen
des NS-Regimes nicht viel gemein' (F. Aspetsberger 1984, 267), auch wenn
das Stück aufgrund des 'vollständigen Mangels an nachvollziehbarer
Kausalität' der Handlungen 'propagandistisch verwertbar' (P. Roessler
1987, 206) blieb, wie die NS-Rezeption bestätigt" (S. 308).
Für die Einschätzung des Stückes aus dem Jahr 1951 haben
sich dagegen die Gesichtspunkte geändert: "So sehr Lanzers Forderungen
nach anderen Stücken und ihre Fragen betreffend das Programmkalkül
des Burgtheaterdirektors berechtigt waren, so sehr stand ihre sonstige
Kritik auf tönernen Füßen: nur weil die 'Nazi' mit literarischen
Produkten auf eindimensionale Weise umgingen, konnte man nicht das neue
Stück verurteilen" (S. 310).
Das heißt: Der Nibelunge Not war für die Nazis "verwertbar",
Kriemhilds Rache nicht - weil es erst 1951 herauskam. Aus der
(ohnehin nur sehr kurzen) Besprechung der Texte wird nicht ersichtlich,
daß Müller irgendwelche bedeutsamen formalen oder semantischen
Unterschiede zwischen den beiden Dramen sehen würde. Hätte Mell
zufällig Kriemhilds Rache noch in der Kriegszeit herausgebracht,
wäre nach der Einschätzung Müllers dieses Stück hinsichtlich
"Verwertbarkeit" dem früheren an die Seite zu stellen. "Verwertbarkeit"
hängt hier demnach also von puren Zufälligkeiten ab.
Es muß allerdings festgehalten werden, daß Müllers Maßstäbe
keineswegs einheitlich sind. Die Hauptlinie ist nämlich nicht diese
exklusive Behandlung Mells, sondern sind die "Zäsuren ohne Folgen":
Die Kehrseite der "Verwertung" unverdächtiger Kunstwerke im Nationalsozialismus
ist die Rezeption der "antimodernen" Werke in höchst unterschiedlichen
Zusammenhängen.
Eine breite Streuung ist hier nicht nur für die Rezeption Waggerls
("Dies schloß aber nicht aus, daß die Texte oder einzelne
Passagen nicht auch im konkurrierenden Paradigma ihren Platz finden konnten";
S. 49) charakteristisch: "Texte der in Salzburg tätigen Schriftsteller
Karl Springenschmid, Pert Peternell, Karl Heinrich Waggerl und Erich Landgrebe
wurden in fast allen Zeitungen abgedruckt, Pert Peternell sogar in der
KPÖ-Zeitung, obwohl er zu den regsten Propagandisten der NS-Herrschaft
gehörte" (S. 266). "Besonders wichtig erscheint mir der
Hinweis E. Lechners, daß sich in Österreich im Unterschied
zu Deutschland auf allen Ebenen der 'Schmutz-und Schund'-Debatte bei allen
Differenzierungen im Detail die Gemeinsamkeit einer literaturkonservativen
Einstellung (über die Parteigrenzen hinweg) feststellen läßt.
Insbesondere die sozialistische Kinderfreunde-Organisation Österreichs
habe in ihrer 'Schmutz-und Schundkritik' im Unterschied zu ihrer eigenen
Tradition 'auf eine gesellschaftspolitische Ausrichtung' (146) verzichtet"
(S. 173-174, Fn. 2).
Für die Frage der Kontinuität über das Jahr 1945 hinweg
heißt das: "Mit diesem Blick auf den Gegenstand wird es möglich,
insbesondere den sich in weniger als fünf Jahren vollziehenden Prozeß
der offenen Reintegration der Antimoderne nach 1945 besser zu verstehen,
als einen Prozeß nämlich, in dem die gegenaufklärerischen
Kräfte, gefördert durch eine Reihe von politischen, ideologischen,
institutionellen und mentalen Bedingungen, die Oberhand über die
aufklärerischen Kräfte gewannen" (S. 165). Die "Antimoderne"
überlebte also alle politischen Wechsel. Das Hauptkriterium für
die Qualifizierung eines Werkes als "antimodern" ist demnach meistens
das Verhalten seines Autors in der NS-Zeit und allenfalls auch die Rezeption
in der NS-Zeit. Macht sich ein Autor dabei unmöglich, bleibt er auch
nach 1945 "antimodern"; und hat er nach 1945 Erfolg, dann ist das ein
Sieg der "Gegenaufklärung".
METHODE
In der oben zitierten Kritik Müllers an E. Lanzer klingt noch ein
Punkt an, der sonst in dem ganzen Band keine Rolle spielt, obwohl er für
Müllers Methoden von Bedeutung wäre: Der "eindimensionale Umgang"
der Nazis mit literarischen Produkten dürfe nicht dazu führen,
die späteren Stücke zu verurteilen. Und die früheren Stücke?
In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich, auf Müllers Methoden einzugehen.
Weniger wichtig ist diese Frage für die formalen und semantischen
Untersuchungen, die für einzelne Werke in ziemlich pauschaler Form
erfolgen und zu denen wenig zu sagen ist. Die Vorgangsweise ist hier dem
Gegenstand an sich adäquat, wenn Müller auch in seiner Interpretation,
wie schon oben dargelegt, häufig tendenziös ist.
Wichtiger ist die pragmatische Seite. Die Produktionsseite wird vorwiegend
biographisch abgehandelt, wogegen nichts einzuwenden ist. Die Schwachstelle
ist die Behandlung der Rezeption.
Die Rezeption wird zum einen anhand einer Sammlung von ca. 80 Anthologien
aus der Zeit 1933-45 untersucht. Müller zählt, wie oft die "völkisch-national-konservativen
und nationalsozialistischen Autoren" in diesen Anthologien vorkommen.
Für diese Autoren werden dann noch weitere Informationen (Mitgliedschaften
in NS-Organisationen, Daten aus der Entnazifizierung usw.) wiedergegeben
(alles in den Tabellen des Anhangs).
Diese Tabellen werden nicht systematisch analysiert, obwohl es genug
auffällige Punkte gegeben hätte: Der mit deutlichem Abstand
populärste unter den von Müller berücksichtigten Autoren
war Josef Weinheber; er kam in 33 der 80 Anthologien vor. Eine große
Zahl von Autoren kam nur ganz selten vor, viele gar nur einmal. Bedenkt
man, daß die Liste nur Autoren beinhaltet, die in den Anthologien
vorkommen, nicht aber andere "antimoderne" Schriftsteller, ist die Vermutung
erlaubt, daß die aus dieser Ecke stammenden Werke zu einem beachtlichen
Teil in der Praxis ohne Relevanz waren, weil sie nicht rezipiert wurden.
Müller geht dieser Frage nicht nach. Ein weiterer Punkt, den er
ausklammert, ist die Frage nach den sonstigen in den Anthologien vertretenen
Autoren: Ein großer Teil dieser Sammlungen beschränkt sich
nicht auf zeitgenössische Autoren, sondern umfaßt eine weit
zurückreichende Zeitspanne. Hier wäre zu fragen gewesen, welche
sonstigen Autoren die Herausgeber mit welchen "völkisch-national-konservativen
und nationalsozialistischen Autoren" kombinierten und welche Autoren
die populärsten waren; derartige Untersuchungen hätten sicherlich
Rückschlüsse auf die Rezeptionshaltungen gegenüber Werken
verschiedener Provenienz ermöglicht.
Die vorliegende Auswertung der Anthologien ist somit ungenügend.
Ein weiterer Schwachpunkt der Rezeptionsuntersuchungen ist die Darstellung
der Behandlung der Autoren durch die Literaturwissenschaftler und Kritiker.
Außer Acht gelassen wird dabei die Frage, welchen Voraussetzungen
die Äußerungen dieser Rezipienten unterlagen. Daß Nazis
mit literarischen Werken auf "eindimensionale Weise" umgingen, fällt
Müller erst am Ende eines Buches auf, in dem er über Seiten
hinweg diesen Umgang als Indikator für die Einordnung der Schriftsteller
selbst benutzt hat.
Es ist keine Frage, daß eine Reihe der erwähnten Autoren Nationalsozialisten
waren; es sind nur vielleicht die Literaturwissenschaftler, die in der
NS-Zeit Lehrstühle innehatten und Bücher publizierten, nicht
die profundesten Zeugen für den "völkischen" Charakter von literarischen
Werken - es lag für sie nahe, sehr rasch und leicht einen derartigen
"völkischen" Charakter zu entdecken, solange ein noch lebender Autor
ein Parteigenosse war oder zumindest nicht renitent war und nicht emigrierte
- von den verstorbenen Autoren ganz zu schweigen. Das von Müller
offenbar als besonders signifikant empfundene Kriterium der Rezeption
unter den Literaturwissenschaftlern (vielleicht auch eine déformation
professionelle des Autors) gibt in Wirklichkeit beim Gros der in Frage
kommenden Schriftsteller nichts her.
Ähnlich ist die Lage bei der Behandlung der Kritik nach 1945. Aus
den ersten Jahren nach dem Krieg liegen Äußerungen einer Reihe
von Kritikern und auch kontroverse Stellungnahmen zum Verhalten von Autoren
in der Nazizeit vor. Des weiteren haben Schriftsteller wie Gerhard Fritsch
oder Andreas Okopenko auch in der Folge wiederholt auf die Kriegs- und
Nachkriegszeit Bezug genommen. Alle diese in der Einleitung und danach
reichlich zitierten Stimmen sind als Privatmeinung sicherlich ehrenwert
und würden jedes Journal-Panorama schmücken (und tun das auch
oft genug), sind aber keine adäquate historiographische Bearbeitung
des Themas (und sind, nehme ich an, auch nicht als solche gedacht).
Müller allerdings zitiert diese Äußerungen mit Vorliebe
quasi als Sekundärquelle. Das ist im Fall moralischer Beurteilungen
egal, da es ja gleichgültig ist, ob eine solche Wohlmeinung von Karl
Müller oder von Milo Dor stammt. Im Fall von sachlichen Einschätzungen
sind diese Quellen allerdings von geringem Wert: Gewiß sind die
Äußerungen Fritschs oder Dors über den Geschmack des Publikums
nicht ganz falsch; aber es ist ja eigentlich ohnedies bekannt, daß
Heimatromane höhere Auflagen erreichten als etwa die Werke der Wiener
Gruppe; da sich genauere Aussagen zu diesem Thema in Kritiker- und Schriftstelleräußerungen
nicht finden (und im übrigen hauptsächlich die Zeitläufte
beklagt werden), sind diese Äußerungen ebenfalls eher unergiebig.
Angesichts der breiten Berücksichtigung, die die Meinungen von Literaturwissenschaftlern
und Kritikern finden, ist es erstaunlich, wie wenig auf eine weit interessantere
Frage eingegangen wird: Die Millionen, die die Bücher der "antimodernen"
Autoren kauften und wahrscheinlich auch lasen, werden in einem Absatz
(S. 121) behandelt, der zwei Zahlen zur Waggerl-Rezeption aus einer Salzburg-Umfrage
aus den 70er Jahren zitiert. Das Ergebnis: Waggerl gehörte nach dem
Bekanntheitsgrad zur absoluten Spitze und wurde von über 60% der
Befragten gelesen. Wer diese 60% waren, was sie taten, wo sie wohnten,
warum sie Waggerl (oder andere Autoren) lasen und wie die Verhältnisse
10, 20 oder 50 Jahre vorher waren, wird nicht gefragt. Eine solche Untersuchung
hätte zwar viel Arbeit verursacht, doch hätte man dafür
ja viele überflüssige Passagen in dem Band weglassen können.
ZUSAMMENFASSUNG
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß nicht nur das Grundanliegen
Müllers, nämlich die moralische Erbauung des Lesers bei der
Betrachtung des Verhaltens von Schriftstellern in verschiedenen politischen
Zusammenhängen, merkwürdig archaisch wirkt. Diese Art von Forschung
sollte längst vorbei sein, der Nationalsozialismus kann längst
historisiert werden.
Archaisch wirkt auch die Art der Begrifflichkeit, der in der gebotenen
und verwendeten Form jede Handhabbarkeit abgeht. Tatsächlich regiert
in den Untersuchungskategorien die pure Willkür des Verfassers.
Schließlich bietet der Band auch methodisch wenig Interessantes
und viel Problematisches. Einige Fragen werden in methodisch adäquater
Weise angegangen, bei den sozialgeschichtlichen Fragen herrscht dagegen
gähnende Leere.
Da die Arbeit an einem germanistischen Institut entstanden ist, sei abschließend
einem Literaturwissenschaftler mit offenbar seherischen Qualitäten
das Wort erteilt:
"Eigentlich und tatsächlich sind solche Bücher, Artikel
und Doktorarbeiten Formulierungen persönlicher Intuition, persönlichen
Geschmacks, mehr oder weniger neu, mehr oder weniger sinnreich oder diskussionsstiftend.
Selbst dort, wo sie ungewöhnlich genau in der Empfindung und elegant
in der Darbietung sind, fallen diese Akte sekundären Diskurses nicht
unter 'Forschung'. Darüber hinaus ist die Feststellung von Belang,
daß nur sehr wenige über solche Genauigkeit und Eleganz verfügen.
Die ganze Vorstellung von Forschung in moderner Literaturwissenschaft
wird beeinträchtigt von der offenkundig falschen Voraussetzung, daß
Zehntausende junger Leute irgend etwas Neues oder Zutreffendes über
Shakespeare oder Keats oder Flaubert zu sagen haben. In Wahrheit ist die
Masse der Doktorarbeiten und Habilitationsschriften, die als 'Forschung'
auf literarischem Gebiet gemeint sind und dementsprechende Veröffentlichungen
nach sich ziehen, nichts weiter als ein grauer Morast"2.
Anmerkungen
1. Karl Müller: Zäsuren ohne Folgen.
Das lange Leben der literarischen Antimoderne Österreichs seit den
30er Jahren. Salzburg (Otto Müller) 1990. 374 S. öS 298,-
2. George Steiner: Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt? München
(Hanser) 1990. S. 54.