Winter
2004/2005 |
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Irene
Bandhauer-Schöffmann: Replik
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Lieber
Michael Pammer, zunächst eine allgemeine Bemerkung, ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Du weniger besprichst, was in meiner Habilitationsschrift steht, sondern mehr Ausführungen dazu machst, was Du gerechnet hättest, wenn Du von der Historikerkommission mit diesem Thema betraut worden wärst. Gegen Rechenoperationen ist ja an sich nichts einzuwenden, allerdings sind Dir bei der Berechnung der Gesamtschadenssumme und der Bilanz von Entzug und Restitution gravierende Fehler unterlaufen. Beide Berechnungen sind falsch. Hier eine Richtigstellung: Du beklagst, daß es keine Berechung des Gesamtschadens im Bereich der katholischen Kirche gibt, läßt aber unerwähnt, daß ich in der Einleitung darauf hingewiesen habe, daß aufgrund von Aktenmangel, dem gegebenen zeitlichen Rahmen und der dem Projekt von der Historikerkommission zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen eine solche Berechnung nicht möglich war. Allerdings habe ich für 1945 die Schäden für die Diözese Gurk angeführt, denn für die Diözese Gurk war sowohl auf staatlicher Seite (Akten der Rückstellungskommissionen) als auch auf kirchlicher Seite Aktenmaterial vorhanden. Auf diesen Teil der Arbeit, in dem auch analysiert wird, wer die Profiteure waren und in dem gezeigt wird, wie Entzug und Restitution am Beispiel unterschiedlicher Vermögenswerte (Kloster, Verein, Pfarrpfründe) rechtlich und im praktischen Vollzug vor sich gingen, geht Deine Besprechung leider gar nicht ein. Das Lesen dieser Kapitel über die Diözese Gurk hätte Dich jedoch davor bewahren können, Gesamtschaden (1945) mit Schadensberechungen der bis 1959 nicht wieder gutgemachten Schäden im Bereich der Diözesen und Orden zu verwechseln. Ambitioniert im Rechnen wie Du es nun eben bist, versuchst Du Dich in einer Gesamtschadensberechnung. Was ich aufgrund von Aktenmangel und Ressourcenknappheit seriöserweise für nicht machbar hielt, nämlich die Gesamtschadensberechung für 1945, willst Du also hier im historicum nachliefern! Doch diese Nachlieferung ist durchwegs fehlerhaft: nicht nur nimmst Du die nicht wiedergutgemachten Schäden von 1959 als Basis (was ist mit den Schäden, die bereits 1959 wieder gutgemacht waren?), sondern Du meinst auch noch, davon »die durch den Kirchenbeitrag erhaltenen Zahlungen von der angegebenen Schadenssumme in Abzug bringen« zu müssen. Welchen Phantasien entsprang nun diese Rechenoperation? Entweder ist das Kirchenbeitragsgesetz eine Entzugsmaßnahme oder es ist keine, beides zugleich – wie Du das bei Deinen Rechnungen unterstellst – ist nicht möglich. Bei Anerkennung des Kirchenbeitragsgesetz von 1939 als Entzugsmaßnahme (was im Gesetz vom 20. Dezember 1955 klar festgelegt wurde) kann der Entfall der öffentlichen Leistungen in die Schadenssumme eingerechnet werden, dann gibt es aber keine rechtliche Basis dafür, die Erträgnisse des Kirchenbeitragsgesetzes von der Schadenssumme abzuziehen, wie Du das machst. Denn die katholische Kirche hätte auch ohne NS-Gesetz das Recht gehabt, Beiträge von ihren Mitgliedern einzuheben. (Wie das ja die evangelische Kirche tat, die auch vom Kirchenbeitragsgesetz betroffen war und für die die Restitution der entzogenen staatlichen Leistungen in ähnlicher Weise wie bei der katholischen Kirche geregelt wurde.) Wenn Du aber, wie die Sozialisten das bis 1955 taten, so argumentierst, daß das Kirchenbeitragsgesetz keine Entzugsmaßnahme darstelle, sondern eine Modernisierungsmaßnahme in der Kirchenfinanzierung gewesen sei, dann gibt es keinen Grund, den Entfall der staatlichen Leistungen als Schaden zu vermerken. Dann wäre das nur ein Tauschgeschäft gewesen: Kirchenbeitragsgesetz gegen frühere staatliche Leistungen. Alles bei mir ausführlich nachzulesen! Leider hast Du aber die Zusammenhänge zwischen der Enteignung des Religionsfonds und dem Kirchenbeitragsgesetz nicht zur Kenntnis genommen, sondern im Gegenteil: Du meinst in Deiner Besprechung, diese Fragen seien »getrennt« zu behandeln. Fehlerhaft ist auch Deine rechnerische Gegenüberstellung der Annuitätenzahlungen, wie sie im Vermögensvertrag von 1960 festgelegt wurden, mit den im Bundesbudget ausgewiesenen Zahlungen an die Katholische Kirche vor dem Nationalsozialismus, die Dich zum Schluß kommen läßt, daß der Bund »also wieder Verpflichtungen annähernd in alter Höhe (übernahm)«. Wie in meiner Arbeit nachzulesen ist, waren die Annuitätenzahlungen eine Wiedergutmachung nicht nur für den Entzug der staatlichen Leistungen, sondern für alle NS-Schäden. Deine Berechnungen einer Bilanz von Entzug und Restitution ist nachdrücklich als falsch zurückzuweisen, weil Du erstens bei den staatlichen Leistungen nur die im Bundesbudget ausgewiesenen Leistungen anführst (aber unterstellst, das wären alle staatlichen Leistungen gewesen) und zweitens die Schäden, die nicht im Bereich wiederkehrender staatlicher Zahlungen lagen, jedoch ebenfalls mit dem Annuitätenzahlungen generalbereinigt wurden, überhaupt vernachlässigst. Die in meiner Arbeit angeführten zeitgenössischen Bewertungen von staatlicher und kirchlicher Seite, in welcher Höhe NS-Schäden durch die Annuitätenzahlungen wiedergutgemacht wurden, ignorierst Du völlig, glaubst aber ohne richtige Sachkenntnis selbst eine Bilanz erstellen zu können. Es sind aber nicht nur Deine Berechnungen falsch, sondern auch die Wiedergabe politischer Abläufe bei der Restitution ist mangelhaft. Du schreibst etwa: »Der Vatikan beharrte auf einer Aufrechterhaltung des Konkordates insbesondere in den Ehebestimmungen und war hinsichtlich der Vermögensfragen kompromißbereit.« Das ist rundweg falsch. Meine Arbeit – so Du sie gelesen hättest – hätte Dich informieren können, daß der Abschluß der Wiedergutmachungsverhandlungen innen- und außenpolitisch schwierig war, weil nicht nur die SPÖ sich lange querlegte, sondern auch der Vatikan (bis zum Tod von Pius XII. im Oktober 1958) keinerlei Abänderung des Konkordates von 1933 akzeptieren wollte, in dem die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche geregelt waren. Wie kommst Du auf die Idee, daß der Vatikan in Vermögensfragen kompromißbereit war? In meiner Arbeit steht das nicht, im Gegenteil: ich befasse mich sehr ausführlich mit den Differenzen, die zwischen österreichischen Bischöfen, ÖVP-Politikern und dem Vatikan mit seiner starren Haltung in dieser Frage entstanden waren. Deine Besprechung unterstellt, meine These, daß beide Koalitionsparteien die Entschädigungszahlungen an die katholische Kirche so deklarieren wollten, daß kein Präjudiz für jüdische Ansprüche entstehen konnte, sei nicht belegt. Von mir nicht belegt oder von Dir nicht gelesen? Bei den vermögensrechtlichen Verhandlungen zwischen Vertretern der katholischen Kirche und Vertretern des Finanzministeriums, die am 14. September 1956 stattfanden, ersuchte Sektionschef Heilingsetzer die anwesenden Bischöfe in Hinblick darauf, »daß auch auswärtige Stellen versuchen, mit Berufung auf den Staatsvertrag an Österreich allerlei Wiedergutmachungsforderungen zu stellen, den Titulus der Wiedergutmachung einvernehmlich so festzulegen, daß daraus keine internationalen Schwierigkeiten entstehen«. (Bericht von Bischof Schoiswohl an die Bischofskonferenz, Fn. 671) Am 13. Oktober 1958 ging Bruno Pittermann in einem Gespräch mit Bischof Schoiswohl auf die Schwierigkeiten ein, die durch die Wiedergutmachung an die katholische Kirche »im Vergleich zu anderen Geschädigten entstehen werden, weil diese nach der derzeitigen Lage nur mit Bagatellesummen abgefunden werden, die die Leute lediglich reizen«. (Schoiswohl in einer Notiz über diese Besprechung, Fn. 686) Als das extra für die drei anerkannten christlichen Kirchen geschaffene Gesetz vom 17. Dezember 1958 beschlossen wurde, das der katholischen, evangelischen und altkatholischen Kirchen, die alle vom Kirchenbeitragsgesetz betroffen waren, Vorauszahlungen im Hinblick auf eine endgültige Lösung der Restitutionsfrage gewährt wurden, machten ein ÖVP- und ein SPÖ-Abgeordneter auf die Diskrepanz zwischen der Behandlung von jüdischen Restitutionsansprüchen und denen der christlichen Kirchen aufmerksam. Ende Juli 1959 setzte der altkatholische Bischof Török einen Akt der Solidarität mit der Israelitischen Kultusgemeinde, denn seiner Meinung nach war das Gesetz, mit dem die christlichen Kirchen Vorschüsse auf die endgültige Wiedergutmachung erhalten hatten, unbefriedigend. Er forderte die anderen beiden christlichen Kirchen auf, gemeinsam von der Regierung eine gerechte Wiedergutmachung an die Israelitische Kultusgemeinde zu verlangen. (Fn. 735) Weitere Belege für meine These, daß der politischen Regelung der Wiedergutmachung an die katholische Kirche eine Distanz zu jüdischen Wiedergutmachungsforderungen (die ich als Ausdruck des Antisemitismus interpretiere) inhärent ist, findest Du im Kapitel über die Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Kirche zu den Vorauszahlungen und im Kapitel, in dem ich die Überlagerung der Konkordatsfrage mit der Wiedergutmachungsfrage behandle. Solltest Du tatsächlich all diese Fakten nicht als antisemitisch interpretieren? Schade, daß Du wegen der vielen Rechenübungen nicht zum Lesen der Arbeit gekommen bist. Meines Erachtens hätte dieses Thema eine seriöse Auseinandersetzung verdient – auch im Historicum! Replik ist eine seit 1991 bestehende Kolumne, die den Autoren der im Historicum rezensierten Habilitationsschriften die Gelegenheit gibt, auf die Besprechung zu antworten. Die Autoren werden eigens von der Historicum-Redaktion zur Replik eingeladen. Die nicht den Gepflogenheiten von historicum entsprechende äußere Form dieser Replik wurde auf dringenden Wunsch der Autorin belassen. Michael Pammer: Antwort
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letzte Änderung:
20.06.2015
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